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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Chefideologen 25 von Schwabing auf und gewann solchen Einfluss, dass er im Januar 1904 wagte, George die Machtfrage zu stellen.
    Das erste Thema, das der »Tarzan-Philosoph« (Ernst Bloch) besetzte und das durch ihn zum zentralen Thema der Enormen von Schwabing wurde, war die Erotik. Kaum in München angekommen, berichtete er seinem Jugendfreund Theodor Lessing, der ihm wenig später nach München folgte, von seiner großen Verwirrung durch das andere Geschlecht: »dies unselige Weibszeug. München ist leider überreich an hübschen Mädchen u. diese hübschen Mädchen sind – ach – gar so willfährig.« 26 Da Klages seine Hemmungen in der Praxis aber wohl nicht überwinden konnte, blieb es bei erotischen Phantasien.
Der einzige Eros, den er fortan gelten lassen wollte, war ein Eros jenseits aller Fleischeslust, der sich nicht in der körperlichen Vereinigung zweier Menschen offenbare, sondern im gemeinsamen Erlebnis des Schauens. Später entwickelte Klages daraus seine Lehre vom »kosmogonischen Eros«.
    Seine ersten sexuellen Erfahrungen machte Klages schließlich mit einer Zwölfjährigen, Hedwig Bernhard, genannt Putti, der Tochter seiner neuen Zimmerwirtin in der Augustenstraße, bei der er im Sommer 1895 einzog. Die Mutter duldete das Verhältnis, »bei dem zwar gewiß das Herz beteiligt war, stärker aber die Sinne«, weil sie offenbar damit rechnete, dass der an ihrer Tochter interessierte Untermieter diese später heiraten werde. 27 Mehr als ein Jahrzehnt dauerte die Liaison, über die in Schwabing bald viel gemunkelt wurde. Selbst die so freizügige und in Fragen der Liebe robuste Franziska zu Reventlow ließ sich dadurch aus der Fassung bringen. 28 Je stärker Klages betonte, dass sein Verhältnis mit Putti ein rein körperliches und ganz profanes sei, die wahre Liebe aber erst jenseits der Wollust, mit der »Rätselferne« des Eros beginne, desto weniger konnte die Reventlow ihre Eifersucht unterdrücken.
    Von Klages enttäuscht, ließ sich die Gräfin im Januar 1903 auf eine Affäre mit Karl Wolfskehl ein; Hanna suchte sich die Eskapaden ihres Mannes schön zu reden und litt. Ihren neuen Liebhaber sah die Reventlow fast täglich, obendrein erhielt sie fast täglich einen Brief von ihm, manchmal auch zwei. Als er im Frühjahr nach Italien reiste und ihr von dort gestand, es ohne sie nicht auszuhalten, fuhr sie ihm nach, um zwei Tage mit ihm in Ravello zu verbringen. Klages tobte. Er hatte die Reventlow im Sommer 1899 kennengelernt. Unter dem Eindruck von Bachofens Mutterrecht , das er gerade gelesen hatte, stilisierte er die junge Gräfin, die als alleinerziehende Mutter in wechselnden Liebesbeziehungen lebte, zum Ideal eines neuen Hetärismus. Dass die »heidnische Madonna« dann ausgerechnet mit Wolfskehl intim wurde und dadurch in eine aus Klages’ Sicht primitive Geschlechtlichkeit zurückfiel, stellte sein aphroditisch-hetärisches Prinzip in Frage. Eifersüchtig war er obendrein. Er griff in die unterste
Schublade des Antisemitismus, aus der er sich zeit seines Lebens gern bediente, und verbreitete, der geile Jude habe »die Gräfin mit jüdischem Golde gekauft«. 29
    Die Liebeshändel von Klages und Wolfskehl 1903 hätten nicht genügt, Schwabing in Aufruhr zu versetzen. Die Rivalität reichte tiefer und hing mit ihrem Verhältnis zu George zusammen. Zehn Jahre zuvor hatten sich die drei kurz hintereinander kennengelernt. Während sich Wolfskehl und Klages von Anfang an unsympathisch waren, fühlte sich George eindeutig zu Klages hingezogen, den er »von den neuen Gefährten am liebsten und häufigsten« sah. 30 In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre verbrachte George viele Monate in Berlin, wo damals auch Wolfskehl lebte. In dieser Zeit scheint es wiederholt zu Spannungen mit Klages gekommen zu sein, der gern damit kokettierte, dass er als ungeselliger Nordländer im Kreis der Blätter immer ein Außenseiter bleiben werde. Er kündigte wiederholt an, sich zu trennen, und ließ sich umstimmen, wenn George nur eindringlich genug um ihn warb:
    Sagt nicht bei jedem treffen die umschlingung
Und dass ich oft dich suche wie du viel
In mir erregst und mir gehörst? verrät nicht
Dass du mich fliehst wie sehr ich in dir bin? 31
    Klages hatte jedoch Größeres im Sinn, er sah sich selbst in einer Führungsrolle. Dieses Selbstbewusstsein unterschied ihn von Wolfskehl, der sich seine Zukunft nie anders als im Dienst Georges vorstellen konnte. Der Meister bleibe doch »Anfang und Ende all unseren

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