Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Erlebens, neben dem nichts bestand hat«, schrieb er anderthalb Jahre vor Ausbruch der Krise an Gund olf. 32 Im Dezember 1903 ergriff George auch deshalb so schnell Partei für Wolfskehl, weil er Klages’ Intrige gegen diesen auch als eine Intrige gegen sich wertete. Hätte er nicht die Sorge gehabt, ins Fahrwasser von Klages zu geraten, hätte er sich womöglich anders entschieden. Klages habe sich damals »ganz ins Kosmische gesteigert«, berichtete er gut anderthalb Jahre später. »Er, George, habe auch daran mitgeholfen; Klages aber sei der Führende gewesen, ganz seherhaft.« 33 Etwa um die gleiche Zeit, allerdings
schon mit deutlich pejorativem Unterton, äußerte er gegenüber Gertrud Simmel: »Wenn ich dies für das Richtige erkannt hätte, so würde ich mich zum Knechte dieser Sache gemacht haben.« 34
Bereits 1895 hatte Klages in den Blättern verlangt, die Kunst dürfe sich nicht »über den eigentlichen zweck ihres schaffens täuschen«, der darin bestehe, »ein leben hervorzubringen das höhere wogen schlägt als das wirkliche«. 35 Das entsprach zwar den Maximen der Blätter . Klages bezweifelte aber, dass die Kunst aus sich heraus genügend Kraft zur Veränderung der Wirklichkeit aufbrachte. »Wäre vielleicht doch unsere kunst die traurige glut einer abenddämmerung über einem menschheitstage welcher untergeht?« 36 Der Künstler müsse bereit sein, die Fesseln der Vernunft abzustreifen und, wie Faust zu den Müttern, in die untersten Bezirke hinabzusteigen. Verstand und Vernunft hätten im Laufe der Jahrtausende genug Unheil angerichtet und zuletzt sämtliche Gewissheiten zerstört. Die Menschheit stehe an einem entscheidenden Punkt. Es sei Aufgabe der Kunst, diesen Augenblick zivilisatorischer Unsicherheit zu nutzen, um im Bund mit den chthonischen Mächten neue Werte zu setzen. Die von Klages in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre gesprächsweise skizzierten Theorien übten auf George eine nachhaltige Wirkung aus. »Man erkennt in ihnen im voraus die Welt des Siebenten Ringes .« 37 Klages verdanke er die »Erkenntnis der wirklich noch vorhandenen Elementarmächte im Menschen«, räumte George später ein, das sei »heute seltner als alles«. 38
Besonders aufgewühlt wurde George im Januar 1897, als ihm Klages in Gestalt des Mysterienforschers Alfred Schuler einen Gewährsmann vorstellte, der als ein echter Römer der Kaiserzeit in der Lage sei, mit Hilfe einer alten Scherbe, einer Kupfermünze oder einer Öllampe den Geist der Antike lebendig werden zu lassen. Es war kein Zufall, dass George sich später falsch erinnerte und glaubte, die Bekanntschaft mit Schuler über einen Psychiater gemacht zu haben, der ihn »als einen Verrückten studierte«. 39
Alfred Schuler war ein »kleines dickliches Männchen mit einem großen kürbisartig ansteigenden, schon leicht glatzigen Kopf und
einem glattrasierten, breiten fetten Gesicht mit Neigung zum Doppelkinn und sehr großen blauen, leicht herausquellenden Augen«. 40 Ein Leben lang bewegte er sich auf der Grenze zwischen »Dämonie und Dürftigkeit«. 41 Eine »figure extrêmement curieuse« nannte ihn Walter Benjamin. 42 Rilke, der 1915 in München einige Vorträge Schulers hörte, in denen er »die Toten als die eigentlich Seienden, das Toten-Reich als ein einziges unerhörtes Dasein« feierte, meinte auf die Todesnachricht im April 1923, rückblickend auf die Münchner Jahre erscheine ihm »die Begegnung mit Schuler als der eine unendliche Werth, der mir dort sollte eingeflößt werden«. 43 Nüchternheit bewahrte sich Friedrich Gundolf. Der »violette Ringelnero« habe »wie ein Alb auf der Leopoldstrasse« gelegen, schrieb er am 7. Januar 1904 an George. Da war die kosmische Runde »wie eine grosse schöne schillernde Seifenblase« eben zerplatzt. 44 1865 in Zweibrücken in der Pfalz geboren, linksrheinischer, katholischer Herkunft wie George, hatte sich Schuler schon als Kind am wohlsten gefühlt, wenn er mit seinem Vater, einem Bezirksrichter und passionierten Hobby-Archäologen, in den römischen Siedlungsresten in Ixheim oder Schwarzenacker herumbuddeln durfte. Wenn »rings um mich frisch aufgeworfener Schutt der eingesunkenen Römervillen lag, da belebte sich plötzlich meine Umgebung. Aus den halbverbrannt umherliegenden Menschenknochen, die an eine furchtbare Katastrophe erinnerten, stiegen die Geister der Vorzeit.« 45 Man müsse sich stets vergegenwärtigen, schrieb Klages 1902 in seinem George-Buch wohl mit Bezug auf beide, George
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