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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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hüllen und dadurch als Geheimnis zu kennzeichnen … Was niemand weiß, ist ein Nichts, ist überhaupt nicht vorhanden; und nur die Art, wie man ein Gewusstes je nachdem offenbart oder wieder verhüllt, macht es zum wahren Geheimnis.« 9 Keiner beherrschte diese Technik besser als George. »Die seltsamsten Gerüchte« seien damals umgegangen, erinnerte sich Oscar Schmitz. »So wurde erzählt, George lese mitternachts bei Lepsius, auf einem Elfenbeinthron sitzend, von nackten Epheben umgeben, zwischen Weihrauchwolken seine Gedichte vor.« Als Schmitz Wolfskehl um Aufklärung bat, entgegnete ihm dieser: »Sie haben es doch hoffentlich nicht dementiert.« 10
    Karl und Hanna Wolfskehl haben alles getan, George abzuschirmen und ihm den Umgang mit Leuten zu ersparen, die ihn langweilten. »Denken Sie z. B. an die Gespräche mit Frau Prof. Frtwgl.«, klagte Gundolf einmal gegenüber Wolfskehl, »bei der einem das Gehirn
zappelt und der Steiss einschläft.« 11 George war kein guter Unterhalter. Für Wolfskehl hingegen bestand das Leben im Wesentlichen aus Geselligkeit. Da er genügend Vermögen besaß, nicht arbeiten zu müssen, konnten er und Hanna das ganze Jahr über Einladungen aussprechen, sonntags zum Tee bitten und im Fasching Kostümfeste geben. Karl war der große Zampano, der sich als »Zeus von Schwabing« in seinem Element fühlte. Gleichwohl spürten die Gäste, dass nicht der Hausherr selbst den Rhythmus vorgab. Das Zentralfeuer wurde, wie es in einem weiteren Schlüsselroman über Schwabing hieß, von »einer noch übergeordneten und nur selten sichtbaren Person« geschürt. 12
    Als Logiergast bei Wolfskehl wohnte George im Auge des Orkans. Die gelegentlichen Auftritte des »franziskanisch ärmlichen« Fremden mit »den hageren und fast entfleischten großnägeligen Fingern« wussten Wolfskehls geschickt in Szene zu setzen. Kaum war George zu seinem ersten längeren Aufenthalt in der Leopoldstraße eingetroffen, wurde er schon auf ominöse Weise präsentiert. Am 3. Februar 1901 gab es einen Jour, zu dem unter anderen Ricarda Huch und ihr Mann, der Zahnarzt Ermanno Ceconi, geladen waren:
    Vorigen Sonntag gingen Manno und ich zum Jour. Er [George] war in dem großen Zimmer, wo man immer den Thee nimmt, nicht, und es herrschte eine schweigende Beklommenheit. Endlich bemächtigte sich Frau Wolfskehl meiner, führte mich in das 3te Zimmer und stellte mich ihm vor. Er sieht abschreckend und häßlich aus, wie das böse Princip, oder wie ein giftiger Pilz. Als ich wieder herüberkam, sehr bald, sagte Frau W. zu mir, ich möchte nicht erwähnen, dass George dort wäre, sonst würde Irene Braun, die auch dort war, wünschen ihm vorgestellt zu werden. Ich sagte leise: das glaube ich kaum, denn im allgemeinen werden doch die Herren den Damen vorgestellt, nicht umgekehrt … Zu Manno sagte Frau W. beim Adieusagen: »Sie werden ein andermal die Ehre haben.« Manno in voller Wut sagte Wolfskehl ein paar wilde Grobheiten. 13
    Die besondere Stellung, die George im Hause Wolfskehl einnahm, und die ungewöhnliche Verehrung, mit der ihm dort alle begegneten, sorgten für Gesprächsstoff. Zwar gab es auch in München die aufgeklärten Skeptiker, die lieber nach rationalen Gesichtspunkten urteilten.
Insgesamt aber war es in Schwabing einfacher als in Charlottenburg, die Aura des Besonderen zu pflegen. Zum einen herrschte in den Salons von Simmel und Lepsius ein so ausgeprägtes bürgerliches Selbstbewusstsein, dass man sich den Verkehr mit einem Künstler, und war er noch so bedeutend, nur auf Augenhöhe vorstellen konnte. Zum anderen galt in Berlin schnell als lächerlich, was in München höchste Aufmerksamkeit erregte. Für Sabine Lepsius verdichteten sich die Gegensätze zwischen Nord und Süd in den unterschiedlichen Reaktionen auf Wolfskehl. Man habe den Eindruck gewonnen, schrieb sie 1935 in ihren Erinnerungen, dass seine Person »nördlich der Mainlinie nicht zündete«. 14
    In München dagegen verstand es Wolfskehl, seine Position als Schwabinger Zeremonienmeister mit dem wachsenden Ruhm Georges geschickt zu verknüpfen. Auch wenn George nicht auf Wolfskehls Angebot eingehen wollte, Berlin aufzugeben und im darauf folgenden Jahr ganz nach München zu ziehen, 15 so erhielt sein Leben jetzt doch einen neuen Akzent. Das ganze Jahr habe er sich auf die zwei Monate dort gefreut, in denen sich alles um Karneval und Karnevalsvorbereitungen drehte. In keiner anderen deutschen Stadt hätte man damals Ähnliches erleben

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