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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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können.
    »In Berlin wäre man eingesteckt worden«, urteilte George später – eingesteckt im Sinne von untergegangen, in die Tasche gesteckt -, und gemeint waren nicht seine Faschingsauftritte als Caesar oder Dante. 16 Einen 15-jährigen Buben in Lederhosen zum Retter des Jahrhunderts auszurufen, wäre in Berlin undenkbar gewesen: »Preist eure stadt die einen gott geboren! / Preist eure zeit in der ein gott gelebt!« 17 Solche Verse hätten dort niemals geschrieben werden können. Ohne den Schwabinger Hintergrund ist der Maximin-Mythos nicht nur nicht zu verstehen. Ohne Schwabing, genauer gesagt, ohne Georges langjährige und intensive Teilhabe an der Gedankenwelt der kosmischen Runde um Klages, Schuler und Wolfskehl, wäre der Mythos in dieser Form niemals konzipiert worden.

2
    Den brillantesten Kopf der Schwabinger Szene, Ludwig Klages, hatte George bereits Jahre zuvor kennengelernt. Im Herbst 1893 hatten sich beide zur Fortsetzung ihres Studiums an der Ludwig-Maximilians-Universität eingeschrieben und wohnten in der gleichen Pension an der Ecke Heß- und Luisenstraße. In solchen Pensionen seien damals die verrücktesten Leute abgestiegen, erzählte George rückblickend, »wer nicht schon ein bisschen verrückt ist, kommt in so eine Pension gar nicht hin«. 18 Vielleicht wirkte der Philologiestudent George auf den Chemiestudenten Klages noch ein wenig verrückter als dieser auf jenen. Die Anziehung war in jedem Fall gegenseitig. Er habe Georges Nähe vor allem deshalb als angenehm empfunden, schrieb Klages ein halbes Jahrhundert später betont nüchtern, weil er » persönliche Anteilnahme für alles Persönliche bezeigte und in Sachen des äußeren Lebens bis hinunter zu den Vorkommnissen des Alltags ein kluger Berater sein konnte«. 19 Klages war nicht einmal 21 Jahre alt, als er mit seinem Tischnachbarn ins Gespräch kam; außer Hannover, wo er als Sohn eines Handlungsreisenden aufgewachsen war, und Leipzig, wo er die beiden ersten Semester Chemie studiert hatte, hatte er noch nicht viel von der Welt gesehen. Das Mehr an Lebenserfahrung, über das George verfügte, und die Aufmerksamkeit, mit der er ihm begegnete, verfehlten ihre Wirkung auf Klages nicht.
    Während Klages an Georges Dichtung keinen großen Gefallen fand – nur der Algabal schien ihn zu begeistern -, bekundete George seinerseits Interesse an allen Manuskripten von Klages. Als ihm dieser eines Tages Fragmente eines Jugenddramas Desiderata vorlas, geriet George »buchstäblich in Fassungslosigkeit, verschwand für drei Tage aus der damals noch gemeinsam bewohnten Pension und erzählte hernach, er sei an den merkwürdigsten Orten gewesen, wovon er genauer erst berichten könne, wenn er sich völlig erholt haben werde von dem überwältigenden Eindruck der ›Desiderata‹«. 20 Der Grund für Georges dreitägiges Abtauchen dürfte weniger die Erschütterung über Klages’ Juvenilia als vielmehr die Einsicht gewesen
sein, dass auch dieser begabte junge Mann in die lange Reihe derer gehörte, die er nie für sich würde erobern können. Die Frage lautete allerdings, wer vor wem die Flucht ergriff. Klages habe »die volle menschliche Nähe« zwischen ihnen gescheut, ließ George seinen Biographen Wolters später schreiben: Aus »Furcht vor dem Aufgehen in George« sei er »immer wieder monatelang« verschwunden. 21
    Klages war »ein schlanker, großer blonder Mensch des schönsten germanischen Typus mit dem länglich geschnittenen, von einem kurzgehaltenen blonden Vollbart umrahmten unsinnlichen Gesicht, das von einer schönen gewölbten freien Stirne über etwas kühlen, leicht misstrauischen blauen Augen beherrscht wurde«. 22 Noch verlieh der Bart seiner ganzen Erscheinung »etwas ungemein Sanftes«, 23 das ideologisch Verbissene kam erst nach der Jahrhundertwende in seine Züge. Zwar entsprach Klages nicht dem Schönheitsideal Georges. Aber dem großen intellektuellen Zauber, der von ihm ausging, konnte er sich so wenig entziehen wie andere. Sie sei zum ersten Mal einem Menschen begegnet, der ihr das Gefühl gebe, dass er »fliegen könnte«, notierte die Gräfin Reventlow ein paar Jahre später, um am Ende ihrer quälend langen Affäre mit ihm dann doch zu konstatieren: »Mein Gott, was ist Klages eigentlich? Am Ende doch nur ein Mensch mit Größenwahn und Ichsucht und einem wundervollen Verstand, der uns alle hingerissen hat.« 24 Als scharfsinniger, rhetorisch überlegener Dialektiker stieg Klages binnen weniger Jahre zum

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