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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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wie Schuler, »dass in rheinischen Stämmen der Überlieferungsfaden, der uns mit dem Altertum verknüpft, nie so völlig zerriss als in Deutschlands protestantischen Gegenden«. 46 Nach dem Tod des Vaters war Schuler im Alter von 22 Jahren mit seiner Mutter nach München gezogen. Sie mieteten eine kleine Wohnung am oberen Ende der Luisenstraße, schräg gegenüber der Pension, in der sich später Klages und George einquartierten, und lebten dort von der Witwenpension der Mutter. Nach deren Tod 1912 war Schuler finanziell auf wohlmeinende Gönner angewiesen wie den Sohn Gustav Freytags, dem er die Bibliothek
ordnete, oder die Verlegersgattin Elsa Bruckmann, in deren Haus er 1915 und 1922 einige Vorträge hielt. Auf seiner Visitenkarte bezeichnete er sich als Archäologe – ein Fach, das er an der Universität München bis zu seinem 46. Lebensjahr studierte, ohne je ein Examen abzulegen.
    Klages, der in Schuler zunächst nicht mehr als einen »genialen Sonderling« sah, stilisierte ihn schon bald »zum Träger eines Wissens um Geheimnisse … die niemandem sonst sich enthüllt hatten«. 47 Er nutzte die Schulersche Ideenwelt als Steinbruch, aus dem er sich eine Fülle von Anregungen, Einfällen und Stichworten holte, die ihm bei der Ausarbeitung seiner Philosophie nützlich waren. Manchmal projizierte er auch eigene Vorstellungen auf Schuler und ließ sie durch diesen gleichsam autorisieren. Klages sei ein »ganz unschöpferischer Mensch«, schimpfte Schuler und warf ihm indirekt geistigen Diebstahl vor. 48 George urteilte ähnlich: »Der kann nur abstrahieren, nicht gestalten.« 49 Aber während Schuler selbst über eine surreale, absichtsvoll dunkle Aphoristik nie hinauskam, gelang es Klages immerhin, in das Chaos des Schulerschen Denkens ein paar Schneisen zu schlagen und zur Verbreitung seiner Ideen beizutragen. So entstand zwischen beiden ein langjähriges symbiotisches Verhältnis, in dem keiner mehr ohne den anderen denkbar war.
    In Schulers Gedankenwelt, einem Gemisch aus spätantiken, gnostischen und anderen okkulten Traditionen, sind einige kulturhistorisch bemerkenswerte Ansätze zu erkennen. Sein Werk »steht am Schnittpunkt zwischen Magie und Theorie und bietet damit eine der in der Moderne seltenen Gelegenheiten, den Einfluss apokrypher Strömungen auf den öffentlichen Diskurs zu verfolgen«. 50 Dennoch sollte man sich hüten, aus Schulerschen Topoi wie Licht und Blut, Zelle und Schoß, Telesma, Pneuma und Aura einen Bau zu rekonstruieren, den es niemals gab. Ein Großteil der Wirkung Schulers beruhte darauf, dass ihm seine Homosexualität zum Schlüssel für das tiefere Eindringen in die Mythen und Mysterien der Antike geworden war. In der Welt der antiken Religionen gab es so gut wie nichts, was er nicht in einen phallischen Zusammenhang brachte. Durch ihn
wurde der Phallos zur eigentlichen Obsession von Schwabing. Statt ins Kaffeehaus zu gehen oder in literarischen Zirkeln sich zu langweilen, schlich Schuler abends vor den Kasernen herum oder durchstreifte Markthallen und Jahrmärkte wie etwa die Auer Dult auf der Suche nach Metzgergesellen und Stallknechten, virilen, möglichst derben Burschen aus dem Volk. »Nach schwängrung süchtig«, 51 gab er sich auf diesen Streifzügen dem »offenen Leben« hin. Im »offenen Leben« feierte er das Ideal einer herrschaftsfreien, vorgeschichtlichen Zeit, in der es noch keine Trennung von Geist und Leib, männlich und weiblich gegeben habe. Erst die patriarchalischen Strukturen der späteren Zivilisationsstufe hätten mit der Vorherrschaft des Mannes über die Frau auch Kampf und Unterdrückung in die Welt gebracht. Im »geschlossenen Leben« unterliege der Mann seither dem furchtbaren Zwang zur Zeugung.
    Bestimmte Menschen seien aufgrund ihrer sexuellen Disposition in der Lage, das Weibliche und Männliche in sich zum Ausgleich zu bringen und so die ursprüngliche Einheit wiederherzustellen. »Nicht Mann noch Weib. / Zeugen Empfangen ist eins. /…/ In der Tiefe Kern leuchtet das Eine.« 52 Androgynie, Zwittertum war eines von Schulers Lieblingsthemen. »Der Androgynismus der römischen Caesaren« lautete etwa das Thema eines zweiteiligen Vortrages im Januar und März 1903 vor der Münchner Sektion des Wissenschaftlich-humanitären Komitees. Manche hielten Schuler aufgrund seiner Physis selber für einen Hermaphroditen. 53 Alles in allem lässt sich sein Leben wohl am ehesten als ein konsequenter Versuch sehen, »den Bruch zwischen ›innen‹ und

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