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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Hanna Wolfskehl niedergelassen, und in deren großen Schwabinger Mietwohnungen – erst Leopoldstraße 51, dann Leopoldstraße 87 – stand George stets ein Gästezimmer zur Verfügung. Anfang 1909 zogen Wolfskehls in den ersten Stock der Römerstraße 16; als dort Ende Oktober die Mansardenwohnung frei wurde, mieteten sie die zwei Zimmer dazu und überließen sie George, der sie sich nach eigenen Entwürfen einrichtete.
    Das München der Jahrhundertwende war idyllisch, überschaubar, verträumt. 1893, als sich George erstmals länger hier aufhielt, hatte die Stadt gerade einmal 390 000 Einwohner und war damit nur etwa dreimal so groß wie Charlottenburg. Wer von außerhalb kam, konnte hier tatsächlich der »Illusion von Heimat« erliegen und sich ein letztes Mal »vor dem Ausbruch der Weltkatastrophe« zu Hause fühlen. 2 In einer zunehmend entfremdeten Welt sei einem die Stadt »wie eine Oase« erschienen, erinnerte sich Ludwig Klages. »Hier konnte man sich auswachsen, konnte verbummeln, konnte unter die Räder kommen; aber eines wie das andere im Gefühl schrankenloser
Unabhängigkeit.« 3 Die höhere Form des Müßiggangs habe aufs Angenehmste mit dem sinnlich-herben Aroma der einheimischen Jugend korrespondiert, und »vom Zauber dieses völkischen Eros« hätten sich die meisten Zugereisten gern gefangen nehmen lassen. »München leuchtete«, schwärmte auch Thomas Mann, 4 der 18-jährig, im März 1894, nach Schwabing gezogen war und hier, vor dem Hintergrund der Boheme, die er sich allerdings nie als eine ihm gemäße Lebensform vorstellen konnte, die Buddenbrooks schrieb .
    In München wimmelte es von Erlösern und Propheten, von diätetischen Anarchisten und Abstinenzlern, Reformern an Leib und Seele, Weltverbesserern, Künstlern und Käuzen. Sie saßen mit Vorliebe in ihren Stamm-Cafés, Stephanie oder Leopold, und brüteten über ihrem endgültigen Werk, das, wenn es denn zustande kam, nicht selten ihr einziges blieb. Wer dazugehören wollte, musste in Schwabing wohnen. Die 1890 eingemeindete Vorstadt im Norden vermochte dem intellektuellen Ansturm eine Zeitlang zu trotzen und schien sich ihren dörflichen Charakter über die Jahrhundertwende hinaus zu bewahren. »Schwabing, Schwabing! Es geht wenig darüber und alles dort umher. Man trifft sich, steht, spricht, geht, besucht sich, und alles leidet einander wohl.« 5
    Als höchste Auszeichnung nördlich vom Siegestor galt das Etikett »enorm«. Es bezeichnete den Gegensatz von »belanglos« und gehörte zu jenen Superlativen des Schwabinger Jargons, die in aller Munde waren und doch von keinem hätten recht erklärt werden können. »Schwabing ist kein Ort, sondern ein Zustand«, resümierte Fanny Reventlow, die über den Kreis ihrer zahlreichen Liebhaber und Verehrer hinaus als die eigentliche Seele des Schwabinger Treibens galt. Sie gab dem Zustand auch gleich einen passenden Namen: »Wahnmoching«. 6
    Obwohl George sich immer nur besuchsweise in München aufhielt und im Schwabinger Biotop höchst selten zu sehen war, galt er von vornherein als einer der Enormen. Selbst unter Leuten, die ihn nicht kannten, wurde darüber gestritten, ob der Meister gerade in München sei oder nicht. In ihrem Schwabinger Schlüsselroman
Herrn Dames Aufzeichnungen schildert Fanny Reventlow ein Kostümfest bei Wolfskehls. Sie glaubt, unter den Gästen auch den Meister erkannt zu haben, wird aber von Hanna Wolfskehl belehrt: »Sie irren sich – er ist nicht hier. Der Herr, den Sie meinen, hat nur seine Maske gemacht.« Die Reventlow beharrt darauf, dass es sich bei der angeblichen Maske um George selbst handele. Als der fiktive Herr Dame sie später fragt, warum denn um die Anwesenheit dieses Mannes so viel Aufhebens gemacht werde, gibt sie die unschlagbar enorme Antwort: »Weil gewöhnliche Sterbliche nicht wissen dürfen, dass er wirklich vorhanden ist.« 7
    Im Schwabinger Kalender waren die Kostümfeste die Höhepunkte des Jahres, in den Tagen davor und danach wurde von nichts anderem gesprochen. »München ist die Stadt der angewandten und zwar der festlich angewandten Kunst«, schrieb Thomas Mann, »und der typische Münchner Künstler immer ein geborener Festordner und Karnevalist.« 8 Während der Vorbereitungen zu einem solchen Fest lernte der Zaungast in Reventlows Roman vor allem die »Hohe Schule der Diskretion kennen«. Sie bestand darin, »Dinge, die vielleicht schon in aller Leute Mund sind, durch plötzliches Verstummen in undurchdringliche Schleier zu

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