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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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›außen‹ zu heilen, den geheimen Bezug zwischen Schoß und All, Mikro- und Makrokosmos wiederherzustellen«. 54
    Als George in der zweiten Januarhälfte 1897 mit Paul Gérardy auf der Durchreise nach Italien in München Station machte, nahm Klages die Gelegenheit wahr, ihn mit Schuler zusammenzubringen. Gérardy war entsetzt und nannte Schuler hinterher »absolument fou«. 55 George zeigte sich zugänglicher, so dass Schuler ihn drei Wochen später auf der Rückreise einlud, »Ihnen in meiner Wohnung bei
einer Tasse Thee einen Einblick in meine Fragmente, die nur leider sehr spaerlich sind, gewaehren zu dürfen«. 56 An diesem Abend geriet George zum ersten Mal in den Bann Schulerscher Beschwörungen – »Dass wir der sinne kaum mehr mächtig, wie vergiftet / Nach schlimmem prunkmahl taglang uns nicht fassten«. 57 Die »neugierblicke«, die George dabei in Schulers »wahneswelten« warf, machten ihn nicht nur mit dessen höchst eigenwilligen Ansichten über römische Rituale bekannt, sondern auch mit Schulers jüngster Leidenschaft zu einem bayerischen Soldaten. Schuler las ihm seinen »Korybantischen Dithyrambos« vor, von dem George anschließend eine Abschrift erbat: »Was zitterte aus deiner Sporen Klang? / Was rann um deines Säbels weiße Koppel?« 58
    Schuler verzierte die Abschrift mit zahlreichen, heute kaum noch zu entschlüsselnden Symbolen aus seinem Privatkosmos. In einen Blätterkranz zeichnete er auch eine sogenannte Swastika, jenes altindische, um die Jahrhundertwende in Europa weithin unbekannte Symbol, das später als Hakenkreuz Einzug in die Weltgeschichte hielt. In die vier offenen Felder der Swastika trug Schuler die vier Buchstaben des Wortes EROS ein. 59 Das gleiche Symbol – ohne die vier Buchstaben, links drehend – verwendete George fünf Jahre später zweimal in einer prunkvollen Abschrift von Liebesgedichten für Gundolf; die Aufschrift auf dem Titel lautete: »Imeros/Pathos/Charis« (Sehnen/Leiden/Danken). George wie Schuler deuteten die Swastika, wie später Wilhelm Reich in Massenpsychologie des Faschismus, als Koitus-Geometrie. 1908 wurde sie von Lechter als Ornament im ersten Band der Shakespeare-Ausgabe benutzt, 1910 tauchte sie auf der Umschlagrückseite des Jahrbuchs für die geistige Bewegung auf, und von 1916 an (Gundolfs Goethe ) prangte sie auf Vorschlag Lechters auf den wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Blätter für die Kunst. 60
    Eine ganz andere Popularität erlangte die Swastika in den Jahren vor dem Krieg in Wien. Hier führten Rassenfanatiker wie Guido List und sein Nachfolger Joseph Adolf Lanz blind und verbissen ihren »völkischen Abwehrkampf« gegen »Fremdrassige«. Zur Vorbereitung
auf den Endkampf der arischen »Herrenmenschen« gegen die »Tschandalas« hatte List eine Reihe von Geheimbünden gegründet, denen das Hakenkreuz von 1907 an als Erkennungszeichen diente. In diesem völkisch fanatisierten Umfeld bastelte sich der junge Adolf Hitler seine Weltanschauung zusammen. 61

3
    Nach einem kurzen Besuch in München in der zweiten Augusthälfte 1897 hielt sich George erst 1899 wieder länger in München auf. Am 19. April kam es zu einem denkwürdigen Abend in der Wohnung von Alfred Schuler. Klages erinnerte sich:
    Geladen waren außer mir George, Wolfskehl und seine Frau. Man male sich aus: mitanwesend Schulers bereits damals sehr alte Mutter, bedienend und helfend; im besten seiner nicht geräumigen Zimmer eine längliche Tafel, imgrunde bescheiden, für seine Verhältnisse üppig mit Speisen bedeckt; Licht von Kerzen und einem römischen Dreidochter; vor diesem auf metallenem Sockel eine Nachbildung des »Adoranten«, dahinter Lorbeer und anderes Grün; um jeden Teller ein Kranz leuchtender Blüten; Weihrauchduft. – Nach der Mahlzeit beginnt er mit dem Vorlesen seiner stärksten Fragmente, mächtig schon einsetzend und zu immer mächtigerem Pathos fortgerissen. Es bildet sich, so möchte man meinen, ein magisches Feld … Die alte Mutter ist in sich zusammengesunken; Wolfskehl, seelisch und geistig immun, saugt und assimiliert … George gerät in wachsende, schließlich kaum noch beherrschte Erregung. Er hat sich hinter seinen Stuhl gestellt; fahler denn fahl scheint er im Begriff, die Fassung zu verlieren. Die seelenatmosphärische Spannung wird unerträglich. Keiner vernimmt noch genau, was Schuler kündet; doch aus dem Dröhnen seiner Stimme wächst ein Vulkan, der glühende Lava schleudert … Auf der nächtlichen Straße stehe ich

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