Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
Vom Netzwerk:
des Georgeschen Staates zu vermuten. Zum einen legt der Begriff aufgrund sowohl seiner medizinischen als auch seiner strafrechtlichen
Implikationen eine fortwährende Präsenz und Fixierung auf das Geschlechtliche nahe, die George fremd war. Der Eros, heisst es in Kommerells nachgelassenen Aufzeichnungen weiter, werde »heute zu sehr blutsmäßig gedacht. Es ist aber nicht mehr nötig, als überhaupt die Möglichkeit , einen Jüngling liebenswert zu finden … das Physische tritt zurück.« Im Kreis der Freunde gab es weder eine normierte Sexualität noch irgendeinen diesbezüglichen Kodex, jeder konnte seinen persönlichen Neigungen und Vorlieben nachgehen, solange sie nicht mit den Werten der Gruppe kollidierten. Zum andern galt als Grundbedingung jeder erotischen Beziehung zwischen einem Älteren und einem Jüngeren das Pädagogische. Noch einmal Kommerell: »Darin liegt vielleicht die größte Anregung durch George: der Weise neben dem Jüngling.« Ohne Erziehung kein Eros, ohne Eros keine Erziehung: Mit dieser Formel schien die unheilvolle Verbindung von Fleisch und Sünde überwunden. Das war für diejenigen, die für die Reize des eigenen Geschlechts nur schwer empfänglich waren und die doch gern dazugehören wollten, so einleuchtend und beruhigend, wie es für all jene verlockend sein musste, die mit ihrer Homosexualität außerhalb des Kreises nur schwer zurechtgekommen wären.
    Seit George 1909 im Vorwort seiner Umdichtung der Shakespeare-Sonette »von der weltschaffenden kraft der übergeschlechtlichen Liebe« gesprochen hatte, galt diese Terminologie als die für alle Freunde verbindliche. Gundolf verkürzte den Begriff wenig später unter Weglassung des Übergeschlechtlichen auf »die weltschaffende Liebe«. 13 Überhaupt tat er alles, die Gedichte im wahrsten Sinne zu »entleiben«; der »Leib« sei bei George »kein medizinischer Komplex, sondern eine metaphysische Wesenheit«. 14 Die Gundolfsche Metaphysik quittierte ein Lästermaul mit der bissigen Bemerkung, dass in der Umgebung Georges »immer, wenn von Päderastie hätte gesprochen werden sollen, Abrakadabra gesagt wurde«. 15
    Trotz aller Sprachregelungen und sonstigen Vorsichtsmaßnahmen hielten es die Gralshüter 1912 allerdings doch für erforderlich, sich von »jenen keineswegs erfreulichen leuten die um die aufhebung gewisser strafbestimmungen wimmern« abzugrenzen:
    Wir fragen nicht danach ob des Schillerschen Don Carlos hingabe an Posa, des Goetheschen Ferdinand an Egmont, der leidenschaftliche enthusiasmus des Jean Paulischen Emanuel für Viktor, Roquairols für Albano irgend etwas zu tun hat mit einem hexenhammerischen gesetzesabschnitt oder einer läppischen medizinischen einreihung: vielmehr haben wir immer geglaubt in diesen beziehungen ein wesentlich bildendes der ganzen deutschen kultur zu finden. Ohne diesen Eros halten wir jede erziehung für blosses geschäft oder geschwätz und damit jeden weg zu höherer kultur für versperrt … Es ist auch nicht ein moralisches vorurteil was heute noch die menschen gegen diese freundschaft empört, ihnen ist gleich unverständlich, im tiefsten grund widerlich die liebe des Dante zu Beatrice wie des Shakespeare zu seinem freund: es ist die abneigung des amerikanischen, pathoslos gewordenen menschen gegen jede form der heroisierten liebe. 16
    Heroisierte Liebe oder pädagogischer Eros: Das Ideal des vergeistigten Sexus versprach in jedem Fall eine höhere Form des Daseins und trug entscheidend zum Elitebewusstsein des Georgeschen Staates bei. Drei Generationen zuvor war in den Ghaselen August von Platens erstmals in der deutschen Literatur »in Umkehrung traditioneller Normen die homosexuelle Liebe als anthropologische Überbietung der heterosexuellen proklamiert« worden. 17 Weil der Homosexuelle der standardisierten Rollenverteilung der Geschlechter nicht unterworfen sei, stehe er anthropologisch höher als der, den die Natur unabweislich zur Zeugung bestimmt habe. Von hier war es nicht mehr weit zu der Forderung, dass es das Lebensziel jedes geistigen Menschen sein müsse, aus dem Kreislauf der Natur auszuscheren und die Fortpflanzung zu verweigern. Wer solchermaßen das Geschlechtliche überwindet, hat die höchste Stufe erklommen. Er ist dort angelangt, wo die Natur »Den leib vergottet und den gott verleibt«.
    Will man die Zusammenhänge zwischen Georges Homosexualität und dem Freundschaftsideal der von ihm gegründeten Gemeinschaft verstehen, darf man zweierlei nicht außer Acht

Weitere Kostenlose Bücher