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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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gerufen, schrieb Gundolf 1920 in seinem George-Buch. Er sah sich daher zu einer Klarstellung in Form einer Fußnote veranlasst. »Ein sichres Zeichen dafür dass einer nicht ihm angehört ist, wenn er sich rühmt ihm anzugehören und mit seiner Kenntnis diskret oder indiskret sich wichtig macht.« Der Kreis sei weder ein Geheimbund noch eine Sekte, noch ein Literatenklüngel. Es handele sich vielmehr um »eine kleine Anzahl Einzelner mit bestimmter Haltung und Gesinnung, vereinigt durch die unwillkürliche Verehrung eines großen Menschen, und bestrebt der Idee die er ihnen verkörpert (nicht diktiert) schlicht, sachlich und ernsthaft durch ihr Alltagsleben oder durch ihre öffentliche Leistung zu dienen«. 50
    Die Fußnote auf Seite 31 hätte Max Weber entzückt. Da er am 14. Juni 1920 starb, erlebte er das Erscheinen von Gundolfs George vier Monate später nicht mehr. Dessen Definition wäre für ihn der endgültige Beweis gewesen für etwas, das er immer schon vermutet hatte: dass es sich beim George-Kreis um einen charismatischen Herrschaftsverband handelte.
    Max Weber, 1864 geboren, also vier Jahre älter als George, war 1894 auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie in Freiburg und drei Jahre später an die Universität Heidelberg berufen worden. Zu diesem Zeitpunkt galt er bereits als einer der glanzvollsten Vertreter einer neuen, eben in Umrissen sichtbar werdenden Wissenschaft, der Soziologie. Sowohl die Vielfalt der von ihm bearbeiteten Themen – seine Interessen erstreckten sich von römischer Agrargeschichte über mittelalterliches Handelsrecht bis hin zur aktuellen Lage der ostelbischen Landarbeiter – als auch sein starkes politisches Engagement hatten seinen Namen über die akademischen Kreise hinaus bekannt gemacht. Kurz nach seiner Ankunft in Heidelberg ließen Webers Kräfte dramatisch nach, und er fiel in einen Zustand vollkommener Erschöpfung. »Aus den Wochen der Arbeitsunterbrechung werden
Monate, aus den Monaten Jahre, und die gesamte bisherige Lebensperspektive bricht zusammen.« 51 Alle möglichen Kuren, Sanatoriumsaufenthalte und ausgedehnte Reisen, nach Italien, nach Amerika, können Weber nicht aus seiner Lethargie befreien; 1903 wird er auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst entlassen. Im Jahr darauf zählt er zu den Mitbegründern des Eranos-Kreises und tritt in das Herausgebergremium des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« ein. In dieser Schriftenreihe erscheint 1904/05 seine bahnbrechende Studie über die protestantische Ethik.
    Edgar Salin, der Weber 1913 in Rom kennenlernte, erinnerte sich an einen Hünen, »der mit großen schweren Schritten über die Ebene ging … Der riesige Schlapphut mit der breiten Krempe konnte an einen Künstler denken lassen, aber die Haltung war die eines fremden Kriegers, eines unseligen, den ein widriges Geschick hierher verschlagen hatte.« 52 Von diesem Mann ging eine ungeheure Faszination aus, auch und gerade für die Anhänger Georges. »Er war der mächtigste Mensch der mir ausser dem Meister begegnet, aber der Riss dieses Zeitalters ging mitten durch sein Wesen«, schrieb Gundolf ein halbes Jahr nach Webers Tod. Um diesen Bruch zu heilen, habe sich Weber »Askesen aller Art« ausgedacht, aber seine sämtlichen Erklärungsmodelle seien »schiefe Wickelungen«. 53
    Gundolf hatte Weber sehr viel gründlicher erfasst als Salin, der meinte, Weber habe die Welt mit Hilfe der Wissenschaft entzaubern wollen. Das ist noch heute verbreitete Lehrmeinung. Aber Weber suchte die »Wahrheit« nicht in der »Enthüllung« eines »Geheimnisvollen«; die Wahrheit, von der er sprach, war im Gegenteil »die offenbare Geheimnislosigkeit der durch den Fortschritt der Wissenschaft entzauberten Welt «. 54 Webers Fragestellung war eine anthropologische. »Nicht die Förderung des Kapitalismus in seiner Expansion war das, was mich zentral interessierte«, erläuterte er 1910 in einer Replik auf Kritik an seiner Protestantismus-Studie, »sondern die Entwicklung des Menschentums , welches durch das Zusammentreffen religiös und ökonomisch bedingter Komponenten geschaffen wurde.« 55 Aber was war mit dem »Menschentum« gemeint? In der zweiten Hälfte des
Jahres 1910 rückte die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gruppe ins Zentrum des Weberschen Denkens. Immer ging es jetzt um das Gleiche: »Wie wirkt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art von Verband nach innen? auf die Persönlichkeit als solche?« 56 Drei Jahre später präzisierte

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