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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Weber in einem Gutachten zur Werturteilsfrage: »Ausnahmslos jede, wie immer geartete Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen ist, wenn man sie bewerten will, letztlich auch daraufhin zu prüfen, welchem menschlichen Typus sie, im Wege äußerer oder innerer (Motiv-)Auslese, die optimalen Chancen gibt, zum herrschenden zu werden.« 57
    Vor diesem Hintergrund tauchte im Juni 1910 wie aus dem Nichts der Charisma-Begriff auf. Weber verwendete ihn erstmals 58 in dem bereits zitierten Brief an die Studentin Dora Jellinek, in dem er sich über das » Erlösungs -Bedürfnis« des »Maximin-Cultus« verbreitete. »Noch in der Protestantischen Ethik hatte Weber, wie Tenbruck bemerkt, von der ›revolutionären Macht des Charisma‹, ja von der bloßen Existenz charismatischer Phänomene ›nicht einmal eine Ahnung‹.« 59 Jetzt wird »Charisma« zum Schlüsselbegriff, zum Ausgangspunkt einer neuen Herrschaftssoziologie, zur »Zentralachse von Webers Geschichtsphilosophie«. 60 Und es ist kein Zufall, dass er den Begriff zum ersten Mal im Zusammenhang mit George gebrauchte. Die Spur führt nach Berlin – zu Georg Simmel.
    Weber und Simmel kannten sich seit längerem, 1907/08 hatte sich Weber vergeblich für eine Berufung des Kollegen nach Heidelberg eingesetzt. Ein wenig verwundert fragte Hennis 1982, warum Tenbruck »auf der Suche nach dem Zentrum von Webers Soziologie seinen alten Faden nach dessen Verhältnis zu Simmel … nie wieder aufgenommen hat«, eröffne sich hier doch »ein fruchtbares Feld für die Aufarbeitung einer unserer nobelsten geistigen Traditionen«. 61 Zwar fällt wegen der dürftigen biographischen Quellenlage die Rekonstruktion der Beziehung schwer; aber es ist nicht abwegig, Stefan George als eine wichtige Verbindung zu sehen, vielleicht sogar als das entscheidende missing link . Am 15. Januar 1910 war Weber bei Simmels in Berlin-Westend eingeladen. Fünf Stunden unterhielt man sich
angeregt, und das Hauptthema des Abends war, wie Weber am nächsten Tag an seine Frau schrieb, Stefan George: »Die inhaltlichen Seiten St[efan] George’s beurteilt übrigens er – und namentlich auch: sie , die ihn offenbar sehr genau kennt – nicht grundsätzlich anders als wir: daß er ›Prophet‹ werden möchte, halten auch sie für einen Fremdkörper.« 62 Fünf Monate später heißt es dann in dem Brief an Dora Jellinek, der Kreis um George trage alle Merkmale einer Sekte – »damit übrigens auch das spezifische Charisma einer solchen«. So wie Simmel das »individuelle Gesetz« erst nach seiner Bekanntschaft mit George vollständig hat entwickeln können, so entdeckte Weber wenige Jahre später im Nachdenken über George den für ihn wegweisenden Begriff.
    In der Wissenschaft hänge alles davon ab, die richtigen Fragen zu stellen, rief Weber wenig später auf dem ersten deutschen Soziologentag im Oktober 1910 in Frankfurt den Kollegen emphatisch zu, »denn, meine Herren, gerade die Formulierung der eigentlichen, von uns zu bearbeitenden Fragestellungen ist ja die entscheidende wissenschaftliche Aufgabe«. Zu den interessantesten Untersuchungsobjekten zählten für ihn die künstlerischen Sekten:
    Die von künstlerischen Weltgefühlen getragenen Sekten gehören in soziologischer Hinsicht – sie bieten auch sonst ein erhebliches Interesse – oft zu dem Interessantesten, was es geben kann; sie haben noch heute, ganz wie eine religiöse Sekte, ihre Inkarnation des Göttlichen gehabt – ich erinnere an die Sekte Stefan Georges -, und die Prägung der praktischen Lebensführung, der inneren Attitüde zum gesamten Leben, die sie in ihren Anhängern erzeugen, kann eine sehr weitgreifende sein … wobei ich … den Ausdruck Sekte gänzlich wertfrei gebrauche. Der Ausdruck ist ganz ohne Grund bei uns so eigentümlich in Verruf, weil man den Begriff der »Enge« damit verbindet. Spezifische, fest umrissene Ideale können aber gar nicht anders als zunächst im Weg der Bildung einer Sekte begeisterter Anhänger … ins Leben getragen werden. 63
    Gundolf war begeistert. »Und wir wagen / Deinethalb die antwortlosen fragen«, dichtete er, die Intentionen Webers kongenial erfassend. 64 Kennengelernt hatten sie sich Ende 1909 durch den gemeinsamen Freund Arthur Salz, der Gundolf wenig später nach Heidelberg lockte.
»Was für ein Sonnenkind er ist!«, freute sich Marianne Weber in ihrem Tagebuch. »Es ist als ob alles Irdische, was es auch sei, für ihn nur Stoff zur Begeisterung werden könnte.« 65 Zwischen Max

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