Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
»Gefolgschaft und
Jüngertum«, »dass sie nur den glauben und den eifer haben aber nicht die liebe«. 64
Der folgende Abschnitt stand unter der Überschrift »Die Liebe«: »Wem der führer nur die sache vertritt der hat ihn nicht begriffen: wem er nur eine person ist der kann ihm nicht dienen … Nicht nachahmung ist die pflicht der jünger: ihr stolz ist dass der meister einzig ist.« Sie sollen nicht seine »erstarrten« Fotografien »aufstellen und herumtragen«, sondern das Licht und die Wärme, die sie durch ihn empfangen, weiterstrahlen: »wandelnde öfen die er geheizt hat«. Der Abschnitt endete: »Wo sie die Notwendigkeit erkennen da löschen sie gern ihr Ich aus und freuen sich brennstoff zu sein für die höhere flamme.« Man liest solche erschreckenden Sätze anders, wenn man weiß, dass Gundolf damit auch bezweckte, seinen Meister vor den falschen Propheten zu schützen und den Personenkult à la Wolters um jeden Preis zu verhindern. Jüngertum bedeutete für ihn Hingabe nicht an einen Menschen, sondern an eine Idee. 65 Im ersten Jahrbuch -Band fasste er den Gegensatz zu Wolters in einem einzigen Satz zusammen: »George ist das gleichnis und nicht der herrscher.« 66
George verstand sehr wohl, was Gundolf an Wolters störte, und bemühte sich, ihm eine Brücke zu bauen. Als Ende 1909 Herrschaft und Dienst in einer von Melchior Lechter kostbar ausgestatteten Prunkausgabe erschien, schrieb Wolfskehl auf Bitten Georges eine Besprechung für die Süddeutschen Monatshefte . George ließ sich den Entwurf vorlegen, versah ihn mit einigen Einfügungen und Änderungen und diktierte Hanna Wolfskehl die Endfassung. Das Buch sei »von grösster Wichtigkeit«, weil es »die Gesinnung der neuen Generation erkennen« lasse:
Die ältere Generation wird bei Betrachtung eines solchen Buches mit solchen Gesinnungen immer nur sprechen von einer maasslosen Erhöhung des Einzelmenschen. Sie kann eben nur individualistisch sehen. Das Individuum aber, das hier als Träger gesehen wird, ist vorerst gleichgültig. Ob George der Vorläufer oder der Erfüller ist, darauf kommt es nicht an, sondern dass die Jugend einen solchen Erfüller denkt, sucht und glaubt. Und auch für George selbst braucht man aus dieser scheinbar übermässigen Verherrlichung
nichts zu befürchten. Er lebt (jeder, der ihn kennt, weiss dies) in seinen eigenen Erschütterungen als der zurückgezogene Mensch, der nie nach Ruhm sucht, nie nach Geld sucht. 67
Die Positionen von Gundolf und Wolters, so die heimliche Botschaft des Textes, lägen gar nicht so weit auseinander. Was für den einen die »Idee«, sei für den anderen der »Typus«. Beiden gehe es im Kern um ein »Absolutes«, und es sei »vorerst ohne Bedeutung«, wer dieses Absolute verkörpere, »ein staatenumwälzender Eroberer oder ein weltenumstürzender Heiland«. Deshalb komme der Name George in Herrschaft und Dienst auch gar nicht vor. Gundolf konnte sich nur wundern. Nach Lektüre des Manuskripts im Mai hatte er vorgeschlagen, einen Untertitel hinzuzufügen: »Über das Werk Stefan Georges«. Jetzt musste er lernen, dass es um Größeres ging.
Gundolf lenkte ein. Im Januar 1910 zeichnete sich ab, dass er und Wolters als die beiden Herausgeber des Jahrbuchs verantwortlich zeichnen würden; Vallentin hatte im letzten Moment mit Hinweis auf seine Stellung am Kammergericht Dispens erbeten. Nachdem er bereits Anfang Januar die für die neue Folge der Blätter eingegangenen Gedichte von Wolters über die Maßen gerühmt hatte, pries Gundolf am 3. März Wolters’ »Richtlinien« für das erste Jahrbuch als »das tiefste Wort des Zeitalters«. Wolters sei ein »Wunder von Mensch« und setze ganz neue Maßstäbe: »Wie 1890, so ist uns 1910 ein Wendejahr, wie immer, wenn ein neuer schöpferischer Geist in unserer Welt aufbricht.« 68 In der Tat erscheint das Jahr 1910 als eines der wichtigsten in der Geschichte des Kreises. In dieses Jahr fiel die Entdeckung Platons und Hölderlins, im Februar wurden in den Blättern die ersten 15 Gedichte aus dem Stern des Bundes veröffentlicht, im März folgte das erste Jahrbuch , und der Sommer brachte die Begegnung mit Max Weber. Voraussetzung für diesen zweiten Durchbruch Georges 1910 war ein vorübergehender Waffenstillstand zwischen Gundolf und Wolters. Aber selbst wenn die beiden sich 1910 ein wenig näher gekommen sind, an ihrer Rivalität änderte sich wenig. Da Gundolf eine dauerhafte Verstimmung mit George nicht ertragen hätte, blieb ihm nichts
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