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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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dürfte und die Jahrbuch für die geistige Bewegung heißen sollte. 58
    Hatte man das Wort »Bewegung« in Analogie zu De Beweging gewählt, der 1905 gegründeten jüngsten Zeitschrift Verweys, so war die Bezeichnung »Jahrbuch« zweifellos eine direkte Reaktion auf den von Hofmannsthal, Borchardt und Schröder herausgegebenen Hesperus , der sich im Untertitel Ein Jahrbuch nannte. Der Anfang 1909 im Insel-Verlag erschienene Band, den George Mitte Februar an Gundolf geschickt hatte, enthielt Borchardts 35 Seiten lange Rezension des Siebenten Rings , eine der ungewöhnlichsten Buchkritiken der deutschen Literatur, aus Sicht Georges widerlich, anmaßend und verletzend. 59 Im ersten Satz verneigte sich Borchardt vor dem neuen Buch »dieses außerordentlichen Mannes, dem die deutsche Jugend eine neue Spiritualität verdankt«. Nach seitenlanger Nörgelei über die mangelnde Qualität einzelner Gedichte holte er dann zum Schlag aus. Stefan George sei eine historische Figur geworden und stehe »außerhalb des Kampfes, den wir kämpfen«; er betrachte es daher als seine »Pflicht gegen die Jugend«, sie davor zu warnen, in diesem Dichter irgendeine Zukunft zu sehen, auch wenn es noch lange dauern werde, »bis unter uns … der Gewaltige aufsteht, der Stefan Georges rechtmäßiger Fortsetzer wird«. 60
    Die »Bewegung« würde also ein »Jahrbuch« herausgeben. Warum aber sollte die Bewegung »geistige Bewegung« heißen? Über dieser Frage entbrannte am Abend des 3. November, als George und Gundolf die Berliner über die bevorstehende Gründung in Kenntnis setzten, ein heftiger Streit. Wolters wollte die Bezeichnung unter keinen Umständen akzeptieren. Der Staat Georges war für ihn keine »geistige« Bewegung, kein schriftstellernder Intellektuellenzirkel, sondern eine »politische« Formation, ein Kampfverband. »Geist« sei eine zerstörerische, unproduktive Kraft. Dichtung verkörpere das Gegenteil von »Geist«, sie dränge zur »Tat«. Das Gespräch wurde »im wesentlichen von Wolters und Gundolf bestritten«, erinnerte sich der etwas später an diesem Abend hinzugekommene Thormaehlen:
    Der Dichter griff in die Auseinandersetzung nicht ein außer mit gelegentlichen leichten Zurufen des Beifalls oder der Beschwichtigung. Er schien Freude an diesem Streit und Eifer der Männer zu haben und genoss und beobachtete jede Geste des leidenschaftlichen Redens. Gelegentlich wandelte er auf und ab. Als Gundolf bei einer längeren Darlegung sehr in Feuer geraten war, trat George, während die andern weitersprachen, hinter den Stuhl Gundolfs, der angespannt den Worten des nächsten Redners lauschte, strich mit der Hand ihm über das Haar, sagte ein anerkennendes Wort, neigte sich flüchtig über das Haupt und drückte leicht den Mund auf seinen Scheitel. 61
    Über den Verlauf solcher »Wortgefechte« berichtete ein anderer Zeuge: »G[eorge] stellt einen Satz auf. Etwa: Vergil ist mehr alexandrinisch als heroisch; oder: Napoleon liebte in der Kunst nur das was er selbst gar nicht war. – V[allentin] bombardiert [ihn] mit historischen, logischen und anderen Einwänden, so dass kein Ausweg mehr aus der Enge scheint. Da erklärt G[eorge] auf einmal, dass alle Entgegnungen nichtig wären, denn es stünde anders in der ›Geheimlehre‹, das sei nicht zu beweisen, aber felsenfest wahr wie das Evangelium.« 62
    Im Streit über das »Geistige« wurden die Differenzen zwischen Gundolf und Wolters auf den Punkt gebracht. Zwar blieb keinem in der Runde verborgen, dass Gundolf aufgrund seiner langjährigen Vertrauensstellung bei George »gleichsam der Wortführer des Dichters« war. 63 Aber Wolters warf mit mächtigem Ehrgeiz ein paar Stichworte zur Erziehung der Nation in die Debatte, die bei dem, für den sie gedacht waren, auf viel Zustimmung stießen. Gundolf, der wusste, wie anfällig George für das Wolterssche Pathos war, versuchte gegenzusteuern. Im Jahr zuvor hatte er die Woltersschen Kampfbegriffe »Herrschaft und Dienst« durch eigene Vokabeln ersetzt: Statt von »Herrschaft« sprach er von »Gefolgschaft«, statt »Dienst« sagte er »Jüngertum«. Weil er mit George seit vielen Jahren in einem Liebesverhältnis stand, war ihm, bei aller Unterordnung unter dessen Willen (und Launen), hierarchisches Denken fremd. Sein »Dienst« gründete auf der Überzeugung, dass George etwas anderes verkörperte als nur sich selbst. Es sei der Fluch der falschen Anhänger, hieß es am Ende der gegen Wolters gerichteten Abschnitte in

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