Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
anderes übrig, als sich
mit Wolters zu arrangieren und ihn auf Dauer zu überstrahlen. Im Stern des Bundes hieß es dazu: »So will der fug: von aussen kommt kein feind.. / Wird er bedurft müsst Ihr aus euch ihn schaffen / Im gegenstoss versieht er seinen dienst.« 69
Im April 1910 zog Gundolf von München nach Heidelberg und schrieb dort in nur zwei Monaten seine fast fünfhundert Manuskriptseiten umfassende Habilitation Shakespeare und der deutsche Geist . Mitte Oktober meldete er George Vollzug. Das Buch sei das »streng komponierte Kompendium der Geistigen Bewegung geworden«, mit dem er »dem ›Staat‹ einen der grössten Dienste geleistet habe, der ihm geleistet werden konnte«. 70 Und wenige Tage später: »Es liegt mir daran, dies Werk bei Bondi, als ›Staats‹sache, als Blättersache … zu publizieren, es ist neben Wolters ›Herrschaft und Dienst‹ das Hauptpronunziamento theoretischer ›Reichs‹natur.« Die beiden Schriften auf eine Stufe zu stellen war vollkommen abwegig. Das dürfte auch Gundolf klar gewesen sein. Aber George beurteilte den Wert einer Arbeit in erster Linie danach, ob und wie das Thema im Interesse der Bewegung nutzbar gemacht werden konnte. Deshalb bemühte sich Gundolf nach Kräften, die Wiederentdeckung Shakespeares, wie es im Schlusssatz hieß, als eine der vorrangigen »Aufgaben des neuen deutschen Geistes« darzustellen. 71
Die ihm sich eröffnende akademische Karriere, beteuerte Gundolf vier Wochen später, diene genau wie die Habilitation selbst in erster Linie dazu, die Botschaft Georges zu verbreiten. Mit diesem Argument hoffte er die Vorbehalte Georges gegen seine Universitätslaufbahn entkräften zu können. »Lass mich noch 10 Jahre Gesundheit haben«, schrieb er ihm bei seiner Aufnahme in den Lehrkörper der Heidelberger Universität, »so bin ich der Mann, all deine Urgedanken und Urerlebnisse zum Gemeingut der deutschen Gesamtbildung im besten Sinn, d.h. der deutschen Jugend zu machen.« 72 Was die Möglichkeiten öffentlicher Wirksamkeit anging, war Gundolf klar im Vorteil gegenüber Wolters, der zwar vier Jahre älter war, aber noch immer Verwaltungsakten zur brandenburgischen Geschichte edierte, Unterricht an Mädchenschulen gab und finanziell wohl von Vallentin unterstützt
wurde. 1907/08 hatte Wolters für den Prinzen August Wilhelm von Preußen die Dissertation geschrieben, was ihm ein schönes Honorar und seinem Lehrer, dem gemeinsamen »Doktorvater« Gustav Schmoller, den Adelstitel eintrug. Es war der erste »richtige« Doktortitel in der Familie des Kaisers. 73 Wolters, der, wie der Prinz gütig bemerkte, »als feingebildeter, freundlicher Gesellschafter manche schöne Sommerstunde mit uns geteilt hat«, profitierte noch im Krieg von den allerhöchsten Verbindungen. Mit seiner akademischen Karriere aber kam er nicht recht voran; 1913 habilitiert, erhielt er erst 1920 ein Extraordinariat für mittlere und neuere Geschichte in Marburg.
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»Alle frohe kraft will nur das Eine: Eurer würdig zu sein, Meister, und Eures erdenreiches kelle und mörtel zu sein. Wenn ich am anfang ›ein wenig zu spät gekommen‹ bin, so hindert mich das wohl Euerm herzen so nahe zu sein, als ich ersehne, aber nicht im kampfe so vorn zu stehen, als ich begehre und ich vermag.« 74 Als Wolters diese Zeilen im März 1914 an George schrieb, steckte er bereits tief in der Arbeit an einer Geschichte der Blätter für die Kunst . Gleich nach Einreichung seiner Habilitationsschrift im Juni 1913 hatte er damit begonnen. Gundolf schickte ihm ein ausführliches Exposé, das in 15 Punkten stichwortartig Plan und Anlage des Ganzen nach den Vorstellungen Georges entwickelte. Aber Wolters wollte sich mit einem biographischen Abriss und einer Darstellung der Blätter nicht begnügen, sondern nahm sich vor, dass »die Fronten auch gegen die gesamten Mächte der Zeit von 1880-1914 gerichtet werden« sollten. 75 Hatte nicht George selbst im ersten Gedicht des Ersten Buchs des Sterns die Richtung vorgegeben:
dass auf erden
Kein herzog kein heiland wird der mit erstem hauch
Nicht saugt eine luft erfüllt mit profeten-musik
Dem um die wiege nicht zittert ein heldengesang. 76
Der Wunsch nach einer kämpferischen Darstellung der eigenen Geschichte war von George fünf Jahre zuvor erstmals geäußert worden. In dem denkwürdigen Gespräch mit Vallentin am Nachmittag des 7. Januar 1909 in Bingen hatte er wie beiläufig die Bemerkung fallenlassen, dass es jetzt wohl an der Zeit sei, die
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