Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Geschichte der Blätter für die Kunst zu schreiben. Vallentin dürfte hier eine gute Gelegenheit für Wolters gesehen und diesen alsbald von dem Projekt unterrichtet haben. Wolters’ Ernennung zum offiziellen Kreis-Biographen erhöhte sein Ansehen auch bei denen, die ihn nicht mochten, und verschaffte ihm Kenntnisse gerade auch über die Frühzeit der Blätter , die sonst nur Wolfskehl besaß, der ihm im Übrigen gern Auskunft erteilte. In einem Prospekt von 1914 wurde das Erscheinen des Wolters-Buches für das folgende Jahr angekündigt. Erschienen ist es vierzehn Jahre später.
Für die Rolle des George-Hagiographen war Wolters wie geschaffen. Kein anderer dachte so streng hierarchisch, keiner verfolgte so rigoros wie er die Idee des Freundeskreises als Kampfgemeinschaft. Wolters habe als Erster begriffen, so George, »dass Dichten ein Herrschen ist«. 77 Da er zuletzt auch stärker als die anderen nach öffentlicher Wirkung drängte, eroberte er sich allmählich seinen Platz – neben Gundolf und zum Teil auch weiterhin gegen ihn. »Vorm Herrn gilt gleich der in- und aussen-krieg / Wo solche sind wie du – da ist der sieg«, so sagte es das Widmungsgedicht Georges auf ihn. 78
Wolters also war zuständig für den Außenkrieg. Da er mit George nie intim gewesen war, ergab sich daraus allerdings ein für den Zusammenhalt und die weitere Entwicklung des Kreises nicht ungefährlicher Antagonismus. Weil Wolters und die Seinen die »Erweckung« durch George nicht selber erfahren hatten, stellten sie den Geist der Gemeinschaft über das Einzelerlebnis (dessen spezifische Erotik sie wegretuschierten, falls sie ihnen nicht – was bei jemandem wie Kurt Hildebrandt gut denkbar ist – gänzlich verborgen blieb). Für sie war der »Kreis« die entscheidende Größe. Der Geist, gegen den sich Wolters in der Diskussion um den Titel des Jahrbuchs noch so vehement zur Wehr gesetzt hatte, holte ihn allmählich ein. »Mir erstem
ganz Gewandelten vom geiste« ließ ihn George in einem vermutlich 1912 entstandenen Gedicht sagen: vom Geiste – und eben nicht vom Eros. 79
Die Jüngeren hielten auf Abstand, der Kult um den »Kreis« blieb ihnen fremd. »Morwitz sagte einmal, es gebe Tage, an denen er das Wort ›Kreis‹ nicht mehr hören möge«, erinnerte sich Hildebrandt. »Das klang uns fast wie Tempelschändung.« 80 Die gegenseitige Abneigung war so groß, dass es bei einer Landpartie nach Rheinsberg im Sommer 1911 beinah zu einer Schlägerei gekommen wäre. Im Streit um die Verteilung der Boote wollte Boehringer mit einem Ruder auf Wolters und Vallentin los. »Sie mit Ihrem Gesangverein«, zischte er. 81 Die Truppe um Wolters ließ sich durch solche Zwischenfälle nicht beirren. Im Gegenteil, sie drehte den Spieß einfach um. Weil von den Jüngeren »jeder den Meister am liebsten für sich allein gehabt hätte«, sei die Verankerung des Staatsgedankens umso wichtiger gewesen. Mit dem Jahrbuch habe George ihnen die entsprechende Plattform zur Verfügung gestellt, und so sei aus einem Kreis von »Lesern« (!) ein Kreis von Jüngern geworden. »Zugehörig war man, solange George einen zur Mitarbeit zuzog«, glaubte Hildebrandt. 82 Es war diese Mischung aus kaum zu überbietender Naivität und Anmaßung, welche die Jahrbücher auch und gerade für einige langjährige Weggefährten unerträglich machte.
Was am Jahrbuch vor allem provozierte, war die Geschlossenheit des Auftritts. »Weltanschauung«, eine der Lieblingsvokabeln jener Jahre, wurde hier nicht nur diskutiert, sondern praktischerweise gleich mitgeliefert. Angriff lautete die Parole, und bereits die aggressive Aufmachung – Blocksatz in Kapitalien auf grellem Gelb – schien zu drohen: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. George gefiel »dies tatmässige innerhalb des geistigen«; so etwas habe es bisher nicht gegeben, und »seine wirkung über den tag hinaus ist noch gar nicht abzusehen«. 83 In späteren Jahren äußerte er sich zurückhaltender. Der Zweck der »gelben Bücher« sei es gewesen, die Gegner einzuschüchtern: »Gewisse Frechheiten hat man sich seitdem nicht mehr getraut. Sie wussten nun: vor denen muss man sich in acht nehmen.« 84 In
Wahrheit verursachten die Jahrbücher bei den meisten Zeitgenossen bestenfalls Kopfschütteln, und nicht umsonst nannte Ernst Gundolf sie später eine Jugendsünde.
Die meisten Beiträge waren weder geistreich noch originell, die Autoren verhedderten sich meist schon nach wenigen Seiten im Gestrüpp ihrer wirren
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