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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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letzten Folge der Blätter für die Kunst der Satz: »Nur den wenigen dürfte es einleuchten dass in der dichtung eines volkes sich seine lezten schicksale enthüllen.« 99 Die Einleitungen von 1914 und 1919 lassen sich mühlos austauschen. Der Krieg findet in der Welt Georges nicht statt.
    Und doch war am Ende alles anders. Nichts von dem, was am Vorabend des Großen Krieges für die Ewigkeit bestimmt zu sein schien, überdauerte die Katastrophe. Am wenigsten der Glaube an die Sieghaftigkeit der heiligen deutschen Jugend. Als alles vorbei war, musste Stefan George wieder ganz von vorn anfangen.

    1924

III Der Rückzug
    1918-1933
    Dass ich überhaupt noch möglich war, beweist, dass das von mir Verkündete noch Zukunft hat 1

1 Pfingsten
    Es waren zwölf, die Stefan George zu Pfingsten 1919 kurzfristig nach Heidelberg einlud, und alle wussten, dass es sich um ein außergewöhnliches Treffen handelte. Ein einziges Mal hatten sich die Freunde in ähnlich großer Runde versammelt; das war Pfingsten 1913 gewesen, als sie zu zehnt in Georges Münchner Mansardenwohnung zusammengekommen waren. Sechs lange Jahre lag das zurück, und viele hatten sich seither nicht wiedergesehen. Durch den Krieg war auch im Freundeskreis manches durcheinander geraten. Um die Reihen neu zu ordnen, bestellte George jetzt die Wichtigsten der Getreuen zu einer dreitägigen Klausur. Es waren nicht zufällig zwölf Geladene, und auch das Datum hatte George mit Bedacht gewählt. Der christlichen Überlieferung nach war an Pfingsten der Heilige Geist über die Apostel gekommen und hatte sie reden gemacht in allen Zungen.
    Gespannt war die Runde vor allem auf drei Neue, die nach gründlicher Vorbereitung in den Kreis der Freunde eingeführt werden sollten. Zu ihnen gehörte Percy Gothein, der das Heidelberger Pfingsttreffen in seinen wenig später entstandenen Erinnerungen als die große Kehrtwende seines Lebens ausführlich schilderte. Bisher habe er zwar nicht viel hergemacht, knurrte George, aber der Wettbewerb mit »den andern, die schöner seien als ich und auch bereits auf einer viel höheren Stufe ständen«, sei für Percy vielleicht ein Ansporn. 1 Gothein hatte gerade seinen 23. Geburtstag gefeiert. Damit war er nach den Kriterien Georges über das ideale Initiationsalter längst hinaus. Trotz der langen und quälenden Vorgeschichte ihrer Beziehung hatte Percy aber nie die Hoffnung aufgegeben, »dass Sie mich trotz allen Irrungen noch immer gern haben, dass noch nicht alles für immer verloren ist«. 2

    Wie die große Mehrheit seiner Altersgenossen aus den Kreisen des Bildungsbürgertums hatte sich Gothein bei Kriegsausbruch im August 1914 freiwillig gemeldet. Bevor er Anfang November ausrückte, besuchte George ihn noch einmal an seinem Standort Mannheim. Percy solle ihm regelmäßig schreiben, ermahnte er ihn zum Abschied, Berichte seiner Freunde aus den Schützengräben seien »wichtiger für die Zukunft deutschen Wesens als manche gewonnene Schlacht«. 3 Der erste Brief Anfang Februar 1915 klang recht lustlos. Der Alltag hinter der Front sei grau und voller Widrigkeiten, vieles gehe ihm gegen den Strich; die Kameraden würden sich über ihn lustig machen und ihn »scheel ansehen, weil man nicht ist wie ihresgleichen«. Zwar könne er inzwischen mit Spaten und Hacke umgehen, aber er sei nun einmal nicht zu solchen niedrigen Tätigkeiten geboren. 4 George war entsetzt. Hier schrieb kein Siegertyp, keiner jener strahlenden Helden, wie er sie sich wünschte. Percys Brief ließ jede Haltung vermissen. Mit solchen Schülern, die nicht einmal im Feld ihren Dünkel ablegten, wollte George nichts zu tun haben. Seine Antwort war harsch und eindeutig. Er stellte sie unter die Überschrift »Die Entlassung des Schülers« und schickte sie dem 18-Jährigen an die Front:
    Das höchste was von Gott dem menschen eignet
Kam vor dein haus, hat sich für dich ereignet.
Du merktest nicht – du bleibst dein leben kind
Du sahest nicht – du bleibst dein leben blind. 5
    Percy solle die Verse als »Talisman« bei sich tragen, schrieb George in einem Begleitbrief. Für den Adressaten, der nach der Lektüre »stundenlang wie ein Kranker« weinend auf seiner Pritsche lag, muss es wie Hohn geklungen haben. Er verstand die Zeilen, wie sie gemeint waren – »als Fluch für mein Leben lang«. Wenn es ihm allerdings »bestimmt sei, draussen zu bleiben«, hatte George am Ende seines Begleitschreibens trostreich hinzugefügt, »würden in der letzten Stunde meine

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