Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
Vom Netzwerk:
ich
einige Male die Woche nachmittags zu ihm kommen dürfte«. Mit der Formulierung »in Ermangelung eines Bessern« wollte Gothein seine Bescheidenheit unterstreichen; indirekt gab er damit jedoch wohl auch zu verstehen, dass er die Hintergründe kannte und wusste, dass George einen anderen, nämlich Ernst Glöckner, als Begleiter favorisiert hatte. Glöckner, der bereits in den Jahren zuvor jeweils zwei oder drei Monate fast täglich mit George zusammen gewesen war, hätte wie stets bei Ernst Bertram wohnen und sich mit der Abschrift der Manuskripte für die in Vorbereitung befindliche neue Folge der Blätter für die Kunst ein Zubrot verdienen können. Aber Glöckner war ein ängstlicher Mensch und schob seine Abreise aus Marburg immer wieder auf. Die politischen Verhältnisse in Bayern beunruhigten ihn, und am Ende sagte er aus gesundheitlichen Gründen ab.
    George war bereits im Dezember eingetroffen und blieb bis Mitte März. Es war sein letzter längerer Aufenthalt in München für viele Jahre. Karl Wolfskehl hatte kurz vor Kriegsende im Emmendinger Land ein Anwesen erworben und die Wohnung im ersten Stock der Römerstraße 16 zum 1. April 1919 gekündigt. Die beiden kleinen Zimmer im Dachgeschoss, die George bewohnte, seit Wolfskehls 1909 dort eingezogen waren, standen nur noch diesen Winter zur Verfügung. Wolfskehl hatte den Mietvertrag für die Mansardenwohnung auf George überschreiben wollen, aber der Plan scheiterte am Widerstand des Hausbesitzers und ließ sich auch beim Wohnungsamt nicht durchsetzen. Die nach Angaben Georges getischlerten Möbel des berühmten Kugelzimmers – das seinen Namen einer einfachen, kugelförmigen Milchglaslampe im Stil der späteren Bauhaus-Leuchten verdankte – landeten auf einem Speicher in Assenhausen bei München.
    Gothein hatte inzwischen begriffen, worauf es im Umgang mit George ankam. »Nur auf ein bestimmtes Zeichen öffnete sich die Türe unten und ließ den in die Geheimnisse dieses Hauses Eingeweihten ein. Fremde unwillkommene Eindringlinge konnten soviel läuten als sie wollten, die Pforte tat sich ihnen niemals auf … Ich wusste das Zauberwort, und vor mir sprangen die Türen weit auf. Wenn ich die
Treppen hinaufstürmte und oben ankam, war niemand zugegen, nur war die Türe geöffnet und leise angelehnt.« Bevor er das Allerheiligste, das Kugelzimmer, »von dem manche Sage umging«, betreten durfte, musste der Besucher ganz profan die Pantoffeln anziehen, die auf dem Gang bereitstanden, denn George »hielt sehr auf Sauberkeit in seinem Gemache«.
    Bevor der Dichter aus dem Nebengelass ins Hauptzimmer trat, hatte Gothein schon Tee gemacht, genauer, er sorgte für die nötigen Vorbereitungen, denn das Teeaufgießen behielt sich George grundsätzlich selbst vor. »Wofür sind die Jungens ihrem Führer sonst etwas nutz, wenn sie ihm nicht einmal seinen Tee richten können?« Gothein musste viel Lehrgeld zahlen, bis er eines Tages einen wirklichen »Vertrauensposten« erhielt und endlich selber einkaufen durfte. Fehlte etwas auf dem Tisch, wies George stumm mit dem Finger auf die Stelle. Der Dichter hatte »seine ganz bestimmten Lebensgewohnheiten, von denen er nicht wünschte, dass um ein Haarbreit abgewichen würde«.
    Im Laufe der Jahre war ihm George in unerreichbare Ferne gerückt, und Gothein näherte sich ihm jetzt in vollkommener Demut. In solchen Momenten habe George »seine in der Tat meisterliche Fähigkeit« bewiesen, heißt es bei Stefan Breuer, »das Selbstwertgefühl anderer Personen zu demontieren, Beschämung hervorzurufen und ihnen genau jene Dosis Zuversicht zu verabreichen, die sie für den Neuaufbau ihrer Identität benötigen«. 9 Diese Perspektive ist eine einseitige; sie verkennt den Begriff der charismatischen Herrschaft, weil sie sich Gefolgschaft nicht anders vorzustellen vermag denn als eine auf Befehl und Gehorsam beruhende Abhängigkeit. Nach Weber kann das Charisma aber überhaupt nur »von innen, von einer zentralen ›Metánoia‹ der Gesinnung der Beherrschten her, seine revolutionäre Gewalt« entfalten. Im Übrigen bezeichnet der Webersche Begriff eine soziale Beziehung, das heißt eine Beziehung auf Gegenseitigkeit, in der dem Anspruch des einen auf unbedingte Führerschaft der erklärte Wille des anderen zu bedingungsloser Gefolgschaft entspricht. Im Verhältnis George – Gothein zeigt sich die charismatische
Herrschaft in idealtypischer Form. Was sich unter dem Dach der Römerstraße abspielte, war alles andere als eine

Weitere Kostenlose Bücher