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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Gegensatz. Es war der Gegensatz von »Geweihten« und »Ungeweihten«, von drinnen und draußen. Jetzt wollte man das »Hellenische Wunder« nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich feiern. In der Neunten Folge der Blätter für die Kunst war der »Griechische Gedanke« soeben als »weitaus der schöpferischste und unausdenkbarste, weitaus der grösste, kühnste und menschenwürdigste« Gedanke gefeiert worden, »dem an erhabenheit jeder andere, sogar der christliche, nachstehen« müsse. 90 Die Knabenliebe war zur Gretchenfrage geworden.
    Anfang August konnte Gundolf seine Unterscheidung zwischen Wissenden und Unwissenden erstmals anwenden. In einem wütenden Brief an ihn hatte Sabine Lepsius die sexuelle Dichotomie des Jahrbuchs scharf verurteilt. Erst spielte Gundolf den Unschuldigen: »Wo um Himmelswillen wird in dem ganzen Jahrbuch die Frauenfrage ›angeschnitten‹ und die ›Jünglingsliebe‹ verherrlicht?!? Hat der Buchbinder vielleicht Ihr Jahrbuch verwechselt, ich suche und suche, und finde nicht den kleinsten Satz, der so zu deuten wäre.« Dann kanzelte er die langjährige Fördererin in verletzender Weise als Dummchen ab. Was sich die »Teuerste Frau Sabine« unter Jünglingsliebe vorstelle, sei »das Schreckbild, das Weibchen sich geschaffen haben, die nur sexual denken können und die Konkurrenz fürchten … Wenn Sie wirklich wissen oder wenigstens ahnen wollen, um was es sich hier handelt, rate ich Ihnen, immer noch eher Plato zu lesen als die Harden-Prozesse.« 91
    Gundolf tat, als würde er die Entrüstung von Frau Lepsius gar nicht verstehen, und argumentierte demonstrativ am Kern der Sache vorbei. Er nannte diese Strategie, bei der er sich im Übrigen köstlich zu amüsieren schien: die Hunde mit ihrem eigenen Schwanz erschlagen.
Die Botschaft war klar: Entweder akzeptierte Frau Lepsius, dass es sich bei der Jünglingsliebe »um Weltkräfte, nicht um Medizinalprobleme« handelte, oder aber sie gehörte nicht mehr dazu. Die ideologische Disziplinierung in dieser Frage sorgte dafür, dass zu den Berufenen von nun an nur solche zählten, die an der Knabenliebe zumindest keinen Anstoß nahmen.
    Niemand hat dieses Kriterium zur endgültigen Konstituierung des George-Kreises schärfer erfasst als Rudolf Borchardt: »Alles konnte an sich Alles heissen, und was dem Geweihten eindeutig war ›Hellas ewig unsere Liebe‹, blieb dem Profanen höhnisch zu beliebiger Deutung überlassen.« 92 Im Herbst 1910 schlug er ein letztes Mal öffentlich zu und machte mit seiner schon im Januar 1906 im Streit um Boehringer ausgestoßenen Drohung Ernst, George und die Seinen als eine gefährliche Sekte von Homosexuellen zu entlarven. Hatte sich Borchardt in seiner Kritik des Siebenten Rings im Jahr zuvor noch einigermaßen zurückgehalten, so nahm er in seinem Jahrbuch -Verriss keinerlei Rücksicht mehr und überzog das »Muckerhäuflein« mit derbsten Schmähungen: »Tut euch nach Weibsen um.« Offensichtlich legte es der Rezensent auf eine Beleidigungsklage des Herausgebers an. »Wenn Herr Gundelfinger auf der Straße zu einem auf ihn zugaloppierenden Lastwagen Abracadabra sagen und stehen bleiben wollte, so kann leicht etwas aus ihm werden, worin man Mühe hätte, das hübsche Jüngelchen von kurz zuvor wieder zu erkennen.« 93 Paul August von Klenau, der Eigentümer der Süddeutschen Monatshefte , in denen der Artikel Ende November erschien, war so empört, dass er Max Weber bat, »im Interesse der deutschen Publizistik … gegen eine solche maßlose Verirrung« einzuschreiten. Weber reagierte umgehend und bezeichnete Borchardts »Intermezzo« als eine »schwere Entgleisung«, aus der »ein irreparabler Schaden … für die Öffentlichkeit« entstanden sei. 94
    Die Vorstellung, der George-Kreis sei eine Gemeinschaft, die im Kern von der sexuellen Abnormität ihres Gründers zusammengehalten werde, war für Borchardt zur Obsession geworden. Alfred Walter Heymel, der ihn in diesen Jahren mäzenatisch unterstützte
(und selber homosexuell war), widersprach. »Der persönliche Magnetismus« Georges, dem es offenbar gelinge, »fanatische Jünger zu machen«, die sich »wie Rasende« gebärden, sobald man »irgend etwas an seiner Heiligkeit tadelt«, sei in der Tat so beeindruckend wie rätselhaft:
    Es ist ein imponierendes Schauspiel und sucht seinesgleichen in der Literaturgeschichte, während wir es in der Religionsgeschichte und beim Enstehen von Sekten … immer wieder sehen. Wie weit die

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