Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
lassen, dass der beim Volk ohnehin verhasste Bothwell noch immer frei herumlaufe. Nach einem Monolog Marias über die Schlechtigkeit der Welt kommt es zur Begegnung mit ihm. Bothwell beteuert seine Unschuld und erklärt das Ganze zu einer Intrige der Lords, die nur darauf lauerten, die Königin und ihn auseinanderzubringen. Er vertraue darauf, dass das von ihr anberaumte Gerichtsverfahren seine Unschuld erweisen werde. In einem kurzen Schlussmonolog bekundet Maria ihre Liebe zu ihm: »Dämonisch fühl ich mich mit ihm verbunden. / An seinem Los hängt gleichsam auch das meine.« 22
Damit hätte das Stück enden können. Dem Leser ist längst klargeworden, dass Bothwell nicht nur zu Unrecht verdächtigt wird, sondern dass all sein Trachten einzig dem Wohle Schottlands und seiner Königin dient. So wie Ibsen in seinem Jugendwerk Catilina gegen Cicero zu rehabilitieren suchte, 23 so machte George aus dem zwielichtigen, von der Geschichtsschreibung schlecht beleumundeten Bothwell einen tragischen Helden, der sich finsterer Intrigen erwehren muss. Und so wie Catilina am Ende von einer Vestalin ins Verderben gestürzt wird, deren Liebe er geduldet hat, so wird auch Bothwell von seiner königlichen Geliebten schließlich im Stich gelassen. Angesichts übermächtiger Gegner verlässt sie schon früh der Mut: »Ein Weib genügt da nicht sie aufzuhalten.«
Den Graf Bothwell hat George nach vielen Anläufen genauso beiseite gelegt wie den Phraortes . Etwas länger beschäftigte er sich mit
einem Stück, das in Trapezunt spielen und den Titel Manuel tragen sollte; Fragmente aus verschiedenen Bearbeitungsstufen erschienen von 1893 bis 1895 in den Blättern . 24 Für alle diese Versuche gilt, was Wolters für die Jugenddichtungen insgesamt festgestellt hat, dass »der reifende Knabe früh am Widerspruch zwischen grossgefühltem inneren Bild und dem Unvermögen litt, es sprachlich zu fügen«. 25 Die Dramen-Fragmente wirken rührend unbeholfen, sie scheitern bereits an formalen Problemen. Die Modellierung von Charakteren, deren Entwicklung den Handlungsablauf vorantreiben müsste, gelingt nicht einmal im Ansatz, alles bleibt schematisch.
Im Kreis der literarisch ambitionierten Primaner, der sich um die Zeitschrift Rosen und Disteln gebildet hatte, fiel George die Rolle des primus inter pares zu. Zu seinen Vorrechten zählte es, dass Lesungen in der Regel bei ihm, auf seinem Zimmer im Raabschen Pensionat stattfanden. Dann bereitete er heiße Schokolade für alle und erwies sich in jeder Hinsicht als zuvorkommender Gastgeber. Es waren aber nicht nur seine dichterische Intensität und seine Spachkenntnisse, die George vor den anderen auszeichneten, auch in der Entwicklung seiner Persönlichkeit schien er den Gefährten voraus zu sein. Vieles an dem Knaben sei ihm »so reif und fertig« vorgekommen, schrieb Georg Fuchs, dass er sich im Rückblick frage, ob man »überhaupt von Knabenhaftigkeit reden darf«. So sei George schon damals »ein Mensch von äußerster Genauigkeit, Akkuratesse, Sparsamkeit und Pünktlichkeit« gewesen – Tugenden, die ihn ein Leben lang begleiteten. Und auch seine »ausgesprochene Führernatur« sei bereits zum Vorschein gekommen. Die wenigen Auserwählten, die er »willensmächtig an sich heranzog«, hätten dies »als eine Ehre« empfunden. 26 In die Aufzeichnungen dürfte manches von dem eingeflossen sein, was später die öffentliche Wahrnehmung Georges bestimmte. Er selbst behielt diese Jahre jedenfalls anders in Erinnerung. »Du weißt du was, es war doch manchmal in Darmstadt sehr schön«, schrieb er zwei Monate nach dem Abitur an Arthur Stahl. »Denkst du auch noch fleissig dran; an die abende etc. … fast beschleicht mich wemut (ein bei mir seltener artikel). Mit herzl. Grüssen Dein EG.« 27
Was er auch tat, allem suchte George eine höhere Bedeutung zu geben, selbst Alltägliches schien durch ihn in einen magischen Zusammenhang zu rücken. Fuchs überliefert eine Anekdote vom Anfang ihrer Beziehung. Auf dem Schulweg seien sie an einer Kegelbahn vorbeigekommen; eines Tages habe ihm George eröffnet, dies sei das Heiligtum, über das sie gesprochen hätten. Fuchs müsse jetzt den Mut aufbringen, mit ihm hineinzugehen. Er musste sich sein Cape über den Kopf ziehen, und George führte ihn die Kegelbahn entlang bis zu der Stelle, »wo sonst beim Kegelspiel der König steht«. Nach einigem Abrakadabra nahm George ihm die Kapuze ab, aber Fuchs sah nichts als eine schnöde Kegelbahn. Das
Weitere Kostenlose Bücher