Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
zu dem Gedicht »Der Tänzer«, das endet:
Er ist der leuchtstern mitten im geflimmer
Er ist die ganze jugend wie sie träumt
Er ist die ganze jugend wie sie lacht. 96
Gothein schaffte es, von einem ehemaligen Lehrer, der im gleichen Haus wie Heinz wohnte, zum gemeinsamen Abendbrot eingeladen zu werden. Heinz, der in Gothein einen der beiden Zuschauer auf der Wiese wiedererkannte, war sichtlich schockiert und mied in den
nächsten Tagen jeden Kontakt. Als Gothein ihn am 24. Juni endlich zu fassen bekam, spielte er seinen »höchsten Trumpf« aus und fragte ihn, ob er ihn zum Meister begleiten wolle. Für Gothein war es unvorstellbar, dass ein Junge wie Heinz Zimmermann nicht darauf brannte, einmal im Leben Stefan George gegenüberzustehen. Als er am folgenden Tag versetzt wurde, drohte er, ihn beim Meister anzuschwärzen: »Wenn er erfährt, dass Sie nicht da waren, haben Sie sich etwas verscherzt.« 97
Gotheins Aktivitäten in ihrer Mischung aus emotionaler Hilflosigkeit und Selbstüberschätzung entfalteten eine für George nicht ungefährliche Eigendynamik. »Wenn er sich nur nicht so sehr als selbstschon-Meister vorkäme«, warnte er früh. »Mir graut vor dieser Hybris der jungen Leute. Kaum entlockt man ihnen einen eigenen Ton, müssen sie schon posaunen.« 98 Die Sorge, Gothein könnte seinen eigenen Meister spielen, war nicht unberechtigt. Andererseits wusste Gothein genau, dass der Erfolg seiner Unternehmungen letzten Endes davon abhing, dass er sich auf die Autorität Georges berufen konnte. »Meister, gewähr ihm seine sehnsucht, dich zu sehen, denn ich weiss doch dass wenn die jungens mich lieben, es eigentlich dir gilt«, flehte er mit Bezug auf einen jungen baltischen Freund noch 1926, als die Verbindung zu George längst abgebrochen war. 99
Während manche der älteren Freunde – allen voran Friedrich Wolters – darunter litten, dass sie unfähig waren zur Knabenerziehung, weil ihnen homoerotische Neigungen fehlten, gab es für Gothein kein größeres Glück als die Vorstellung der Akklamation eines Adepten durch den Konvent. Als er den Heinz kennengelernt habe, schreibt er in seinen Erinnerungen, habe er sich ausgemalt, »wie es sein würde, wenn ich ihn an der Hand nähme und ihn auf den Altan führte, auf den Halbkreis der staunenden Freunde zu, wie ich vor Jahresfrist dorthin geleitet wurde. Ich würde mir gewiss ein großes Verdienst um alle erwerben und um den Jungen am meisten, wenn ich mir diesen blonden Heinz zum dauernden Freunde gewönne.« 100
Nach dem Fehlschlag mit Heinz war Gothein Hals über Kopf nach Italien gefahren, um möglichst rasch zu vergessen. George ließ
ihm durch Uxkull einen geharnischten Brief schreiben, in dem die Reise als Flucht vor der Wirklichkeit bezeichnet wurde: »Diese verhängnisvolle Fernsucht würde heute keinem Deutschen erlaubt sein, geschweige denn einem, der im Frühjahr auf dem Schlossberg war.« Ab sofort trage Percy »im innen-staatlichen Verkehr« aufgrund seines ebenso wunderlichen wie eigensinnigen Verhaltens den Namen Peter. 101 Bei seiner Heimkehr bekam Gothein den Zorn Georges mit voller Wucht zu spüren. »Hart und fast grausam quälend« habe ihm der Meister seine neuerliche »Erschlaffung« vorgehalten. »Mir war, als ob ich an einen Marterpfahl gebunden stünde.« 102
Gothein kam jetzt nirgendwo mehr voran. Im Frühjahr 1923 wurde seine Dissertation abgelehnt. Wann er endlich begreife, dass ihm »das Leben keine Extrawurst brät«, empörte sich George. Er bescheinige ihm gern sein Edelmenschentum, aber damit lasse sich bekanntlich kein Brot verdienen. Zwar wurde Gothein im zweiten Anlauf doch noch promoviert, aber eine akademische Karriere war seine Sache nicht. Da er seine Bestimmung darin gefunden hatte, in Georges Namen die vortrefflichsten Exemplare deutscher Jugend um sich zu scharen, hielt er jede andere Beschäftigung für Zeitverschwendung. Zweifellos gehörte er zu jenen ewig Jugendbewegten, für die John Gillis den Begriff der »verlängerten Abhängigkeit« prägte. 103 Weil der Eintritt ins Familien- und Berufsleben für sie gleichbedeutend war mit dem Verrat ihrer Ideale, musste es bei ihrer gesellschaftlichen Eingliederung zu Konflikten kommen. Noch als Erwachsene trugen sie kurze Hosen und glaubten sich so die geistige Unabhängigkeit ihrer Jahre am Lagerfeuer zu bewahren. Nicht zufällig war aus Gotheins späteren Lebensjahren für viele vor allem berichtenswert, dass er gern mit dem Motorrad durch die Lande fuhr. Nach
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