Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
geeigneten Knaben Ausschau haltend, ratterte er die Fakultäten und Schullandheime ab und hielt überall Vorträge. Er war von seiner Mission so überzeugt, dass er sogar auf finanzielle Unterstützung durch George glaubte zählen zu dürfen: »Ihr freunde, wollt ihr mir helfen, damit ich nicht an fremde türen klopfen muss wenn ich in not komme?« 104
1923 hatte sich George endgültig von Gothein getrennt. Dieser ließ zwar nichts unversucht, sich die meisterliche Gunst zurückzuerobern, aber George wollte nichts mehr von ihm wissen. »Lasst die Finger von diesem Percy!«, warnte er. 105 Dass Gothein »überall angebändelt und das für eine staatliche Funktion gehalten habe«, sei für ihn in höchstem Maße kompromittierend gewesen. »Früher hat man einem solchen Menschen ein paar hundert Mark in die Hand gedrückt und gesagt, geh übers große Wasser und verschwinde!« 106
Im Frühjahr 1923 hatte Gothein den Heidelberger Theologensohn Wolfgang Frommel kennengelernt. Mit dessen Hilfe gelang es ihm, über die Jahre einen eigenen Freundeskreis aufzubauen. 1931 veröffentlichten Gothein und Frommel mit 14 weiteren Beiträgern anonym den 160 Seiten starken Gedichtband Huldigung . Die Sammlung sollte, wie es im Verlagsprospekt hieß, »eine Huldigung an die Welt Stefan Georges« sein und zeigen, dass die deutsche Jugend auch außerhalb des engeren Kreises »den an sie ergangenen Ruf vernommen« habe. George konnte sich nicht recht dafür erwärmen. »Findet all dies Bemühen, für das ich allein verantwortlich bin, denn es wäre nicht ohne mich, vor den strengen Augen des Meisters Gnade?«, wollte der inzwischen längst verunsicherte Gothein wissen. Zugleich entwickelte er trotzig und selbstbewusst die langfristigen Perspektiven seiner Mission und ließ durchblicken, dass er bereits für die Zeit nach George vorausplane: Er müsse »so handeln, als ob wir schon im Jahr 1950 stünden, wo er nicht mehr unter uns weilt … Nur möchte ich nicht – verstehen Sie mich recht – im Gedächtnis der Zeiten als Häresiarch weiterleben.« 107
Anfang der zwanziger Jahre hatte Gothein mit der Niederschrift seiner Erinnerungen den Kampf um die Nachfolge eröffnet. George, der einzelne Kapitel im Frühjahr 1922 kennenlernte, war zunächst so begeistert, dass er jüngere Freunde an der Lektüre teilhaben ließ. 108 Als sich sein Verhältnis zu Gothein im Laufe des Jahres zunehmend schwieriger gestaltete, beurteilte er auch den Plan des Buches zurückhaltender. Unterstützung fand Gothein bei Ernst Morwitz, der immer wieder auf Fertigstellung des Manuskripts drängte. »Peters opus
ist sagenhaft gut«, meldete er dem Meister im Januar 1924. 109 George warnte und erinnerte Morwitz daran, dass Percys Briefe inzwischen einen gefährlichen Grad an Freizügigkeit erreicht hätten. »Wenn Du das Schickliche an den Briefen vermisst, so verstehe ich dies«, antwortete Morwitz. »Im Werk aber – soweit ich es bis gegen Ende des zweiten Teils kenne – wüsste ich keine Stelle, die für uns oder einen Aussenstehende[n] nicht angängig erschiene. Hiermit meine ich nicht die Frage, ob es an der Zeit ist, so tiefe Erlebnisse überhaupt schon in der offeneren Form der Prosa zu publizieren.« 110 Anfang Juli 1924 meldete Gothein den bevorstehenden Abschluss seiner Arbeit. Er sei auf Seite 450 angelangt und wolle von George wissen, »was jetzt zu geschehen hat«. Er sei bereit, das Manuskript »auf gnade oder ungnade in die hände des Meisters auszuliefern«, der nach Belieben darüber verfügen möge. 111
Geschrieben hatte Gothein seine Erinnerungen in einer für ihn heiklen Zeit. Während George auf Distanz zu ihm ging, verlangten Gotheins eigene, im Zeichen des neuen Bundes geworbenen Freunde nach Legitimation, und so diente die Niederschrift einem doppelten Zweck. Zum einen sollte der Modellcharakter der eigenen Biographie herausgestellt und dadurch der Anspruch untermauert werden, selber zur Führung der Jugend befähigt zu sein. Zum anderen hoffte der Verfasser, George zum Einlenken zu bewegen und ihn davon zu überzeugen, dass er, Gothein, in der wahren Nachfolge stehe und seine intensiven pädagogischen Bemühungen einzig dazu dienten, des Meisters Botschaft unter die Jugend zu bringen. Das »Opus Petri« wurde zum Grundbuch einer neuen, vom Geist Georges inspirierten Jugend. Was George darüber dachte und was er nach der Lektüre verfügte, entzieht sich jedoch genauer Kenntnis. 112 Wo die Überlieferung abbricht, sind der Phantasie
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