Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
zum Wintersemester an den Neckar zu kommen.
Bereits im Frühsommer 1920 gehörte Kantorowicz mit Woldi Uxkull, Percy Gothein und Erich Boehringer zum kleinen Kreis derer, die George während seines ersten langen Klinikaufenthaltes in Heidelberg abwechselnd Gesellschaft leisteten. Mit Uxkull war er, wie er George gestand, »seit der ersten Stunde wirklich absolut glücklich«. 2 Sein Verhältnis zu anderen Freunden Georges aber blieb merkwürdig distanziert, ja kühl, es gab nur wenig Berührungspunkte. Thormaehlen, der sonst über jeden Bescheid wusste, ist ihm ein einziges Mal begegnet. 3 George habe es nicht gern gesehen, behauptet er in diesem Zusammenhang, dass die verschiedenen Freundesgruppen sich untereinander austauschten. Allerdings scheint auch Kantorowicz selbst kein besonderes Interesse an der Vertiefung »staatlicher« Beziehungen gehabt zu haben; in seiner Korrespondenz mit George ist fast nie von Angelegenheiten anderer Freunde die Rede. Einmal beschwerte er sich bei Morwitz über die politischen Aktivitäten von Wolters, der immer wieder dubiose Aufrufe unterzeichnete und 1924 sogar bei einer völkischen Feier zum Gedächtnis des von der NSDAP zum Märtyrer des Ruhrkampfs erhobenen Albert Leo Schlageter auftrat. Für ihn sei »ein derartiges politisches Heraustreten vollkommen unmöglich«, damit würden »die gewiß über allen Parteien stehenden Dinge von offizieller Seite in den Dreck einer Partei gezogen«. 4 »Seine ganze Erscheinung war in faszinierender Weise exotisch«, erinnerte sich Gerhart Ladner, der Kantorowicz 1929 als Assistent von Paul Kehr in Berlin kennenlernte. Wie ein »Dandy« sei er ihm vorgekommen, ein wenig manieriert in der Art seines Sprechens, aber »von fast berückender Liebenswürdigkeit«. In seiner Haltung stets »aufrecht und gestrafft« und von großer Eleganz des Auftretens habe
er ungeheuer »weltmännisch« gewirkt, wie ein Mann, der »sehr klare Standards« befolgte. 5 George nannte ihn deshalb den Chevalier. Die damit verbundene stille Bewunderung (die er ähnlich für Robert Boehringer und später auch für Berthold von Stauffenberg empfand) war die Voraussetzung dafür, dass Eka – wie er von Freunden auch außerhalb des Kreises genannt wurde – bei George alsbald eine Sonderstellung erlangte. Zwei praktische Gründe kamen hinzu. Zum einen dürfte George froh gewesen sein, nach dem Bruch mit Gundolf Ende 1922 in Heidelberg bei einem Freund zu wohnen, der weder der alten Gundolf-Garde noch den neuen Fraktionen um Wolters und Kommerell verpflichtet war. Zum anderen konnte er Kantorowicz für ein ehrgeiziges Projekt gewinnen, das in weitgehender Klausur entstehen und über das vorerst möglichst wenig gesprochen werden sollte. Nicht nur der Kreis der Freunde und nicht nur die Fachwissenschaft würden staunen, so George an seinen Verleger, nein, »um ganz andere – grössere – kreise soll geworben werden«. 6
Wie Gundolf zu Shakespeare, wie Kommerell zu Jean Paul, so kam auch Ernst Kantorowicz über George zu seinem Thema. Bedenkt man, dass der Nationalökonom im Nebenfach zwar Alte Geschichte gehört, aber nie ein mediävistisches Seminar besucht hatte, ist umso erstaunlicher, dass er sich auf das Abenteuer, die Biographie des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. zu schreiben, überhaupt einließ. Die Entscheidung ist wohl 1923 gefallen, möglicherweise während Georges erstem Aufenthalt im Wolfsbrunnenweg. Den letzten Anstoß dürfte das Raffael-Buch von Wilhelm Stein gegeben haben, das mit dem Wissenschaftssignet der Blätter für die Kunst im Dezember 1922 bei Bondi erschienen war. Wilhelm Stein war als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Staatlichen Museen Berlin bei Kriegsende über Thormaehlen zum Freundeskreis gestoßen und hatte sich, vor allem wohl in Gesprächen mit Morwitz, dazu anregen lassen, das Leben Raffaels als Geschichte einer göttlichen Offenbarung zu erzählen. Stein habe eine »unglaublich (auch für uns) wichtige Entdeckung gemacht«, die das Geheimnis der Renaissance löse, jubelte Morwitz in seinem Geburtstagsbrief an George 1919. 7
Raffael war bereits von Zeitgenossen »zum exemplarischen menschlichen Wesen von göttlichen Eigenschaften in Analogie zu Christus« ausgerufen geworden. 8 Wie aber tat diese Göttlichkeit sich kund? Weil »die Art des Sehens, durch welche das Raffaelwerk erst möglich geworden«, im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen sei, sei auch »die Art des Liebens … verschollen«, welche den Betrachter in
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