Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
haselbusch hindurch winkten wir uns manchmal zu« – und verhielten sich auch sonst in jeder Beziehung so, wie sie es von den Helden Jean Pauls gelernt hatten. George erhielt ausführliche Beschreibungen: »Ich glaube, der M[eister] sieht daraus hinlänglich das gepräge dieser tage. Das unglaublichste wird für die, die einmal eingenäht waren, immer mehr zur tagesluft … und der wunderbarste traum geht in das völlige erwachen über.« 82
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Als George gemeinsam mit Johann Anton zu Ostern 1922 Edith Landmann in Königsfeld besuchte, wurde auch über die zunehmenden Spannungen mit Gundolf gesprochen, in deren Folge weitere Trennungen unausweichlich schienen. Es müsse »von Zeit zu Zeit so ein großes Aufräumen geben«, meinte George, »die Staatsmitglieder sterben, aber der Staat lebt«. Als Edith Landmann noch einmal eine Lanze für Josef Liegle zu brechen suchte, den sie 1913/14 als Hauslehrer für ihren ältesten Sohn beschäftigt hatte, wurde George deutlicher:
Es war schon früher aus, aber einmal kommt dann der Anlass, es abzuschütteln. Früher gab es distanzierte Verhältnisse. Jetzt kann ich nicht abwägen, jetzt muss ich bei denen bleiben, an denen ich hänge. Ich kann jetzt selbst denen, die ich liebe, ihre volle Portion nicht geben, weil ich äußerlich behindert bin. Ich hatte ihn gewarnt. Ich warne ungern. Ich vergebe mir schon etwas, wenn ich warne. Die andern wissen’s, bevor ich warne, aber er hat’s in den Wind geschlagen. Er hört nicht fein genug. Jedem sag ich nur einmal die Wahrheit, wenn’s nötig ist. Wenn es dann nichts nützt, dann nützt es auch hundertmal nichts. Es ist im Kreis nicht üblich, mit Zaunpfählen zu winken. 83
Zu denen, die bei dem großen Revirement Anfang der zwanziger Jahre auf der Strecke blieben, zählten sowohl einige Jüngere, die aus Georges Sicht ihre Chance vertan hatten, als auch langjährige Weggefährten wie Wolfskehl oder Lechter. »›Es ist nicht leicht‹, sagte der Meister einmal, ›die Leichen ehemals Befreundeter hinter sich zu lassen, aber um des Lebendigen willen muss es sein: wer nicht mehr mitgehen kann, hat sein Recht verwirkt.‹« 84 Unter den »Opfern« fanden sich auch zwei Freunde aus dem innersten Kreis: Ernst Glöckner und Percy Gothein. Nach dem Pfingsttreffen hatte Glöckner den Meister anderthalb Jahre nicht gesehen, im Oktober 1920 hielt er es nicht mehr aus:
Sie sind da, leben und sind erreichbar für alle – und ich bin gebunden und so geknebelt wie es noch nie war in meinem leben. Alles in mir sehnt sich nach Ihnen, ich habe keine ruhe mehr, meine nächte sind voller träume und rufe nach Ihnen und meine tage voller überlegungen und pläne, wie ich das ziel
meiner wünsche erreichen könnte. In dieser mehr als körperlichen not komme ich heute zu Ihnen, Meister, um Ihnen einmal zu sagen, wie es um mich steht: ich liebe Sie, ich liebe Sie, wie man nichts irdisches lieben kann … Verzeihen Sie, dass ich um ein kleines wort bettele; ich würde es nicht tun wenn ich nicht so am ende meiner kräfte wäre. Aber da es in mir ist, wenn es die heilige stunde gibt, dass ich zu Ihnen rede wie zu Gott, sei es erlaubt dass ich in dieser stunde der not zu meinem Herrn rede wie in meiner einsamkeit. 85
Im Juni 1921 forderte George Glöckner zum letzten Mal auf, seine Kontakte zu Thomas Mann – »einem gemeinen und gefährlichen kerl« – und Elisabeth Förster-Nietzsche – »einer ekelhaften gemeingefährlichen gans« – einzustellen: »Dies ist meine einzige geschriebene warnung*: es ist die lezte...« 86 Der Grund für die Trennung war freilich nicht Glöckners Kontakt zu Thomas Mann, sondern seine dezidierte Homosexualität, die George mit seinen Vorstellungen von der übergeschlechtlichen Liebe auf Dauer nicht in Einklang zu bringen wusste. Es ist kein Zufall, dass der einzige erhaltene Brief in Georges Korrespondenz, der auf sexuellen Verkehr schließen lässt, von Glöckner stammt. Weil er wusste, dass George sich scheute, dem Sexus als dem primären Trieb eine solche Bedeutung beizumessen, fügte er am Ende vorsorglich hinzu: »Ich werde von nun an nie mehr davon sprechen.« 87
Anfang der zwanziger Jahre nahm George immer häufiger Anstoß an Glöckners eheähnlichem Verhältnis mit Ernst Bertram, der seinerseits nichts unversucht ließ, Glöckner von George abzubringen. »Du hast Recht und George hat Recht«, hatte Glöckner etwas hilflos schon im November 1919 an Bertram geschrieben. »Ich als Liebender stehe zwischen
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