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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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politischen Arena verwendeten Hakenkreuz zu tun. Es sei nicht einzusehen, dass man ein »seit vielen Jahren eingeführtes Signum« abschaffe, nur weil es für andere nach dem Krieg einen anderen Sinn angenommen habe. »Wer die unter diesem Zeichen veröffentlichten Bücher auch nur flüchtig kennt, dürfte wissen, dass sie mit Politik nichts zu tun haben.« 84 Auch das Neue Reich meinte zweifellos ein Reich jenseits der politischen Grabenkämpfe. Aber gerade die beiden letzten Veröffentlichungen unter der Swastika, die Bücher von Kantorowicz und Kommerell, hatten gezeigt, dass Begriffe wie Reich und Führer unendlich dehnbar waren und im Feld des Politischen vielfach Verwendung fanden. Die Frage, was sich George unter dem »Neuen Reich« dachte, stellt sich umso dringlicher, als über den Titel erst im letzten Augenblick entschieden wurde. Im Anhang zu der im Dezember 1927 als Band I der Gesamtausgabe erschienenen Fibel war für 1928 »die neue Gedicht-sammlung« noch ohne Titel angekündigt worden.
    Die Parole vom »Neuen Reich« war erstmals in der Schlusszeile des 1921 erschienenen Gedichts »Der Dichter in Zeiten der Wirren« aufgetaucht. George beschwor hier die Jugend, auf die er seine Hoffnung gründete: »Ein jung geschlecht das wieder mensch und ding / Mit echten maassen misst«. Diese Jugend garantiere Deutschlands Zukunft, denn sie werde eines Tages »Den einzigen der hilft den Mann« hervorbringen:
    Der sprengt die ketten fegt auf trümmerstätten
Die ordnung, geisselt die verlaufnen heim
Ins ewige recht wo grosses wiederum gross ist
Herr wiederum herr, zucht wiederum zucht, er heftet
Das wahre sinnbild auf das völkische banner
Er führt durch sturm und grausige signale
Des frührots seiner treuen schar zum werk
Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich. 85
    Den Nachgeborenen dürfte es schwerfallen, diese Zeilen nicht auf jenen Mann zu projizieren, der im November 1923, zwei Jahre nach ihrer Veröffentlichung, mit einem Putsch sich anschickte, »das völkische banner« aufzurichten. Nicht zufällig gehören sie zu den in den Nachrufen vom Dezember 1933 am häufigsten zitierten Versen, sie fordern zum ideologischen Missbrauch geradezu auf. Unweigerlich stellt sich daher die Frage, inwieweit George einem solchen Missbrauch Vorschub geleistet, ob er ihn möglicherweise sogar kalkuliert hat. Man sollte vorsichtig sein und Georges Position nicht danach beurteilen, wie sie von denjenigen interpretiert wurde, die er sich am wenigsten als seine Leser vorstellen mochte. Andererseits lässt sich aus seinem Diktum vom Frühjahr 1933, die Gesetze des Geistigen und des Politischen seien inkompatibel, kein Freispruch ableiten, im Gegenteil. Die polemische Distanzierung von allem Politischen gehörte ins Repertoire des rechten Irrationalismus und trug dazu bei, den Boden für die braune Saat zu bereiten.
    Weil sich die Rechte mit der Neuordnung des Staates nicht anfreunden konnte und der Begriff der Nation in der Niederlage von 1918 jede Aura verloren hatte, wurde Ende der zwanziger Jahre »die Reichsidee zum wesentlichen Inhalt einer neuen politischen Metaphysik, zum Inbegriff tief empfundener und aus der Tiefe kommender Sehnsüchte«. 86 Die Idee eines ewigen deutschen Reiches, die »zu den verschwommensten des nationalen Begriffsarsenals gehörte«, erwies sich als besonders zugkräftig, »weil sich mit ihr am leuchtendsten die Vision einer besseren deutschen Zukunft vor Augen stellen ließ und weil sie gleichzeitig dem starken Bedürfnis nach Anknüpfung an große historische Traditionen entsprach«. Die Reichsidee, resümierte Kurt Sontheimer, sei »die vielleicht wirksamste Antithese gegen den Staat von Weimar« gewesen, der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Gegner der Republik im rechten Lager verständigen konnten. Als George im letzten Moment beschloss, den Band Das Neue Reich zu nennen, war ihm dieser politische Hintergrund bekannt; auch wenn der Titel möglicherweise auf seine beiden engsten Vertrauten zu dieser Zeit, Kommerell und Anton, zurückging,
die gern einem windigen Nationalismus das Wort redeten, lag die Verantwortung allein bei ihm. Offenbar wollte er sich einmischen und suchte sein Publikum deshalb genau da, wo der Kampf um die Zukunft des Reiches – das vorerst noch eine parlametarische Demokratie war! – entschieden wurde. 87
    Um die gleiche Zeit, als George letzte Vorbereitungen zur Publikation traf, begann erstmals jener Begriff seine Suggestivkraft zu entfalten, der am Ende

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