Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
das Rennen machte und der zwölfjährigen Schreckensherrschaft dann auch den Namen gab: Das Dritte Reich. Geprägt hatte den Begriff, in Anlehnung an ältere Mythen, die auf Joachim von Fiore zurückreichten, Arthur Moeller van den Bruck in seinem 1923 erschienenen gleichnamigen Buch. Der Autor verstand es besser als andere, »das Ressentiment der Massen« zu bedienen, und Ende der zwanziger Jahre begannen seine Thesen »eine verheerende Wirkung auszuüben«. 88 Nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reichs und dem Ende des Bismarckschen Kaiserreichs sollten die Deutschen in einem ultimativen Endreich, in dem alle nationalen Sehnsüchte befriedet, alle sozialen Gegensätze aufgehoben wären, ihre Erfüllung finden. Von Hans Zehrers Tat -Kreis über Papens »Herrenklub« bis zu Otto Strassers »Schwarzer Front« bemühten sich um 1930 alle ultranationalen Gruppen, ihre unmittelbaren politischen Ziele mit dem Mythos vom Dritten Reich zu verknüpfen. Als im Januar 1933 schließlich diejenigen an die Macht gelangten, die mit Moellers Visionen bis dahin am wenigsten hatten anfangen können, hatte das Schlagwort eine solche Eigendynamik entfaltet, dass es wie von selbst zum Synonym des neuen Staates wurde.
Auch wenn George wusste, dass er weit ins politische Feld hinein wirkte, hielt er es nicht für nötig, seine Vorstellungen zu präzisieren. Im Übrigen scheint ihn die Wirkung auf das große Publikum auch jetzt nicht sonderlich interessiert zu haben. »Er könne immer nur auf die einzelnen jungen Menschen wirken und müsse es denen überlassen, wie sich die Sache weiter entwickle«, meinte er im Februar 1928 im Gespräch mit Vallentin. Andererseits bestehe jetzt die große Gefahr, dass »die Gedanken der Bewegung nicht in Deutschland zur tathaften
Wirkung gebracht würden«, sondern das Ausland sie aufgreife, denn »das Ausland wäre unter Umständen in der Lage, besser als die Deutschen den neuen Typus Mensch zu sehn, den wir schaffen«. Das sei in der Romantik schon einmal passiert, die ursprünglich ja eine deutsche Bewegung gewesen sei, sich bei uns aber im Literarischen erschöpft habe, während sie in England und Frankreich dank Byron und Victor Hugo einen Typus hervorbrachte. »Es käme immer nur darauf an, dass eine große Täterperson solche Gedanken aufgreife und sie in die politische Wirksamkeit überführe. In der Richtung sei vielleicht etwas von Mussolini zu besorgen … Er glaube, dass die Wirkung nach außen überhaupt nur durch einen politischen Menschen, einen Täter zustande gebracht werden könne, der eines Tages die Gedanken der Bewegung politisch zu einem Körper zusammenstelle und damit die Nation bewege.« 89
Zwei Jahre zuvor war George mit Kommerell und Anton nach Italien gereist, um sich selber ein Bild vom faschistischen Neuanfang zu machen. Sein Urteil über Mussolini fiel zwar ambivalent aus, aber gegen eine ähnliche Entwicklung in Deutschland schien er keine Einwände zu haben. Nur sei zu befürchten, dass die Deutschen den Anschluss verpassten: »Wenn schon die ganze Welt ihre Diktatoren hat, wird sich Deutschland noch aus Idealismus für die Demokratie schlagen.« 90 Die Verachtung des politischen Systems von Weimar ließ sich kaum steigern. Von der kompromisslosen Ablehnung der parlamentarischen Demokratie zu ihrer Zerstörung war es nur kleiner Schritt.
Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen »Neuem Reich« und »Drittem Reich« erkannte als Erster der Landesschulinspektor für Wien, Oskar Benda. Man dürfe sich von den Georgeschen Parolen nicht blenden lassen, warnte er 1931. »Welcher Deutsche, welcher Kulturmensch fühlte nicht den Drang in sich zur Nachfolge hinter diesen Fahnen als solchen! Aber wo sie zurzeit im Winde wehen, locken sie auf falsche Bahnen: nicht zu neuem Aufstieg der Menschheitssonne ›Humanitas‹, sondern zu ihrem unwiderruflichen Untergang.« Leider machten sich »gerade demokratische Kreise keine annähernd richtige Vorstellung von Umfang und Tiefgang der verhängnisvollen
Wirkung Georges und seiner Gefolgschaft, ja man verbeugt sich gerade hier gern mit betonter Achtung vor ihrem ›Geist‹ und ›Kulturwillen‹«. Am Ende stehe aber nicht der Geist des Neuen , sondern der Ungeist des Dritten Reichs, ja, bei genauerem Zusehen erweise sich der George-Kreis als
bewusster Schrittmacher des »Dritten Reiches«. George verhält sich zu Hitler, von den Größenverhältnissen abgesehen, in jeder Hinsicht wie D’Annunzio zu Mussolini … Der Kreis um
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