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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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im Grunde ödeten ihn politische Diskussionen an. In Berlin gehe alles seinen gewohnten Gang, hieß es auf einer Karte Mitte Juli 1933, doch »infolge des erweiterten wortschatzes der vergangnen monate haben sich naturgemäss auch die litaneien vermehrt«. 22 Die einzige Maßnahme des neuen Staates, die ihn wirklich interessierte, weil sie ihn unmittelbar betraf, war der Fristablauf für Steuernachzahlungen, das so genannte »Volksverratsgesetz«. Wer ausstehende Steuerschulden der letzten drei Jahre nicht bis 31. Oktober 1933 angegeben hatte, musste mit hohen Freiheitsstrafen und Vermögensverlusten rechnen.

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    Obwohl ihm das Alter zu schaffen machte und er sich oft müde und schwach fühlte, waren die letzten drei Jahre die glücklichste Zeit in Georges Leben. Die Fotos aus den langen Wintern in Minusio zeigen einen Mann, der alles Steife und Herrische abgelegt hat und mit sich und der Welt im Reinen ist. Sogar schalkhafte Züge werden jetzt sichtbar. Die Strenge ist jener Androgynität gewichen, welche die Frage nach dem biologischen Alter in den Hintergrund treten lässt. Die Milde hängt aber nicht nur mit dem Nachlassen der Kräfte zusammen, sie entspricht auch dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der aus der Überzeugung lebt, etwas geschaffen zu haben, das ihn überdauern wird.
    Die Jungen, die in den letzten Jahren fast täglich um ihn waren, betrachtete George als sein eigentliches Lebenswerk. Er hatte die Beziehung zwischen einem Älteren und einem Jüngeren durch verschiedene Stadien in immer neuen Konstellationen realisiert und damit, wie Max Kommerell schrieb, eine lang vergessene Grundform menschlicher Existenz in Erinnerung gebracht: den Weisen neben dem Jüngling.
Wenn er sich die Jünglinge jetzt so anschaute, konnte er mit Befriedigung feststellen, dass es ihm tatsächlich gelungen war, einen Typus zu schaffen. »Den Typus schaffen, darauf kommt es an. Das ist mehr als alles andre.« 23 Auf die Frage, wie viele sich denn finden ließen, für die sich der Einsatz lohne, meinte er, es käme auf die Zeiten an: »So ein halbes dutzend in einem menschenleben, aber dafür muss man schon augen haben.« 24
    Zu den gern gesehenen Jüngsten gehörte Karl Josef Partsch, ein Berliner Gymnasiast, ursprünglich eine Sylter Ferienbekanntschaft von Helmut Küpper, einem Freund von Kantorowicz. Nachdem Küpper den 14-Jährigen Anfang 1929 George vorgestellt hatte, entwickelte sich zwischen Cajo, wie Partsch unter den Freunden bald gerufen wurde, und dem fünf Jahre älteren Mehnert eine intensive Freundschaft. Er kam oft in Thormaehlens Atelier, wurde in den Ferien nach Wasserburg und zu Weihnachten nach Minusio eingeladen. Die Freunde organisierten sich inzwischen untereinander, der »Staat« verjüngte sich aus sich selbst. Morwitz nannte diese neue Form der Erziehung durch die zu Erziehenden selbst »Coeducation«. 25 Mit Blick auf das jugendliche Alter der Neuen empfahl Morwitz, der immer schon für das 18. Lebensjahr als ideales Einstiegsalter plädiert hatte, dass »die Dichterwerke erst nach dem eigenen entscheidenden Erleben« gelesen werden sollten. 26
    Der Lieblingsjünger blieb Frank Mehnert, der ständige Begleiter seit Frühjahr 1931. Mehnerts Vorfahren waren Mitte des 19. Jahrhunderts aus Schwaben und Thüringen nach Russland ausgewandert und in Moskau als Unternehmer erfolgreich geworden; der Großvater mütterlicherseits, Julius Heuss, hatte die größte Schokoladen- und Konfektfabrik des Landes aufgebaut, der Vater besaß eine Druckerei. Als Frank fünf Jahre alt war, brach der Krieg aus und die Mutter zog mit ihren drei Söhnen zurück in die schwäbische Heimat (der Vater fiel 1917 als deutscher Soldat in Flandern). Am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart befreundete sich der 13-Jährige mit dem vier Jahre älteren Berthold von Stauffenberg. »Sehr rasch entwickelte sich zwischen den beiden eine Art von Ritter-Knappe-Beziehung«, erinnerte
sich Franks Bruder, der später bekannt gewordene Journalist Klaus Mehnert, »Frank lebte nur noch für Berthold.« 27 Ihre Mutter sei tief unglücklich gewesen, unter nichts habe sie so gelitten wie unter Franks Entfremdung. »Der Junge ist in ein gefährliches Fahrwasser geraten«, schrieb sie besorgt. »Bei ihm war der Sprung ungefähr: Karl May – Hölderlin.« 28 Spätestens an dem Tag, an dem Frank »das Bild des Vaters von seinem Schreibtisch entfernte und durch das des Freundes ersetzte«, habe er nicht mehr zur Familie gehört; der Bruder sprach

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