Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
von einer »fast sklavischen Abhängigkeit«. Und dann »begann hinter Berthold eine andere Gestalt aufzutauchen, die von Frank noch stärker Besitz ergriff – Stefan George«. 29
Im Sommer 1924 war der 15-Jährige auf dem Stuttgarter Bahnhof vom Meister in Augenschein genommen worden. George war auf der Durchreise und hatte sich mit den Brüdern Stauffenberg am Bahnhof verabredet. Frank durfte sie begleiten, musste jedoch in einiger Entfernung verharren. George guckte ihn sich an, ließ ihm durch einen der Brüder eine Apfelsine überreichen und sagte beim Abschied zu den Stauffenbergs: »rara avis« – ein seltner Vogel. 30 Nach dem Abitur 1928 ging Frank nach Berlin und quartierte sich, erst als Dauergast, dann als Mitbewohner und Mitte der dreißiger Jahre schließlich als Mieter in Thormaehlens Atelier ein. Von ihm erlernte er die Bildhauerei, ein Autodidakt vom andern. Was sie gegenseitig sich überbietend an großgefühlten Köpfen und Statuen hervorbrachten, präsentierten sie den Freunden, deren Beifall allerdings verhalten war, seit George selber von Vitzlibutzli-Kunst gesprochen hatte.
Als Künstler nannte sich Mehnert Victor Frank und hatte beachtliche Erfolge. Für die Galerie Franz Hanfstaengl in München schuf er im Frühjahr 1933 eine Hitler-Büste, von der mehr als dreißig Exemplare verkauft wurden. »Wopschen, du musst ihn aber zu Pferde modellieren«, soll George gespottet haben. 31 In die Partei trat er – anders als Thormaehlen oder Blumenthal – nicht ein; Cajo hatte es ihm in Georges Auftrag ausgeredet. Mehnert modellierte freilich nicht nur Hitler-Köpfe und George-Köpfe, sondern immer wieder auch Köpfe von Freunden, darunter mehrfach den von Claus von Stauffenberg,
mit dem er seit der Schulzeit eng verbunden war. Claus stand ihm auch Modell für das lebensgroße Standbild eines Pioniers, das am 2. Dezember 1939, drei Monate nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, an der neuen Elbbrücke in Magdeburg aufgestellt wurde. 32
Aus der Genese der Freundschaft von Berthold und Claus von Stauffenberg mit Frank Mehnert ergab sich später Georges Erbfolgeregelung. Seinen ursprünglichen Plan, eine Stiftung zu gründen, hatte George auf juristischen Rat aufgegeben und stattdessen mit Letztwilliger Verfügung vom 15. Juli 1932 Robert Boehringer zum alleinigen Erben seines gesamten Nachlasses eingesetzt. Als Nacherben bestimmte er Berthold von Stauffenberg. Er wünsche, hieß es in einem Zusatz vom Juli 1933, dass der Nacherbe, also Stauffenberg, nach seinem Tod »im einvernehmen mit dem erben [d.i. Boehringer] unverzüglich einen zweiten nacherben einsetzt, so dass immer ein erbe und zwei aufeinander folgende nacherben vorhanden sind«. Im Sinne dieser Verfügung bestimmte Stauffenberg nach dem Tod Georges am 31. Dezember 1933 Frank Mehnert zu seinem Nacherben, nach Mehnerts Soldatentod am 16. April 1943 seinen Bruder Claus. 33
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Zu den Letzten, die George Mitte April 1933 im »Achilleion« besuchten, zählte Ernst Kantorowicz. 34 Am 7. April war das Gesetz »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« erlassen worden, das »Beamte, die nicht arischer Abstammung sind«, in den Ruhestand versetzte. Ausgenommen waren Juden, die im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfer gedient oder an Kämpfen der Freikorps teilgenommen hatten. Nach seinem vielbeachteten Auftritt auf dem Historikertag war Kantorowicz, ohne habilitiert zu sein, im August 1930 Honorarprofessor und zwei Jahre später ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Frankfurt am Main geworden. Obwohl ihm aufgrund der »Frontkämpferklausel« keine
Entlassung drohte, empfand er das Gesetz als eine Ungeheuerlichkeit, die er nicht hinnehmen wollte. Er entwarf ein Schreiben an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in dem er diesem mitteilte, dass er sich als Jude gezwungen sehe, seine Lehrtätigkeit im nächsten Semester ruhen zu lassen. Einen so wichtigen Schritt wollte Kantorowicz allerdings nicht tun, ohne vorher die Zustimmung Georges einzuholen. Solange »jeder deutsche und wahrhaft national gesinnte Jude … seine nationale Gesinnung eher schamhaft verbergen muss, als dass er sie unbefangen kundtun dürfte: solange erscheint es mir als unvereinbar mit der Würde eines Hochschullehrers … seine Lehrtätigkeit, als wäre nichts geschehen, stillschweigend wieder aufzunehmen.« 35 Es war kein langer Besuch, George verstand sofort, um was es ging. Er habe gespürt, gestand Kantorowicz sechs
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