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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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treten.« 44 Morwitz lag wohl vor allem daran, dass die Gespräche mit dem Ministerium über ihn liefen. Schließlich gab es auch Kontakte Zierolds zu Thormaehlen, der drei Tage zuvor versucht hatte, George das Angebot des neuen Staates doch noch schmackhaft zu machen. 45
    Die Annahme, George sei deshalb am 8. Juli von Bingen nach Berlin gefahren, ist abwegig. Wenn er tatsächlich am Fortgang des Gesprächs interessiert gewesen wäre, hätte er Morwitz oder Thormaehlen gebeten, ein Treffen mit Zierold zu vereinbaren. Zwar verabredete er sich mit Morwitz, wohl in dessen Wohnung in der Regensburger Straße 29, aber nicht um Zierold kennenzulernen, sondern um die Jüngeren wiederzusehen, Bernhard von Bothmer und Silvio Markees. George wohnte, wie schon im letzten Berliner Winter, bei Clotilde Schlayer im südlichen Dahlem. Hätte er an seinem 65. Geburtstag Wert auf eine staatliche Huldigung irgendwelcher Art gelegt, dann hätte er sich mit Sicherheit nicht den ganzen Tag über in einem Häuschen am Stadtrand versteckt, das nicht einmal seinen nächsten Freunden bekannt war. Auch die Tatsache, dass Ludwig Thormaehlen, der solchen Spekulationen Vorschub leistete, an diesem Tag zum ersten Mal überhaupt in die Boetticherstraße gebeten wurde, deutet darauf hin, dass George untertauchen wollte (andernfalls wäre er zu Thormaehlen in die Albrecht-Achilles-Straße gefahren, die auch über den engeren Kreis hinaus als seine Berliner Adresse galt). Auch die von Kempner am 12. Juli gemachten Fotos lassen nicht darauf schließen, dass George einen Regierungsvertreter erwartete. Er war nach Berlin gefahren, um sich hier, im Auge des Orkans, »den drohenden Ehrungen zu entziehen«. 46

    Unter der Geburtstagspost, die Thormaehlen mitbrachte, war auch ein Brief von Kantorowicz. Wie hatte er an Pfingsten noch geschwärmt! Es beglücke ihn zu wissen, dass ihre Beziehung durch die politische Entwicklung, die »den einen auf diesen, den andern auf jenen Berg absetzt«, nicht einmal tangiert werde. Im Übrigen sei sein Gesuch um Beurlaubung, wie er aus sicherer Quelle erfahren habe, »außerordentlich unangenehm gewesen, weil man befürchtete, durch meine Beurlaubung d[en] M[eister] vom Eintritt in die Dichter-Akademie abhalten zu können«. Er versichere, dass er freudig »zur Stelle sein werde«, wann immer der Meister rufe. 47 Der Brief war vom 5. Juni. Vier Wochen später kamen Kantorowicz dann doch Zweifel, dass sie dasselbe meinten, wenn sie von der würdigen Zukunft der Nation sprachen. War das neue Deutschland am Ende vielleicht doch die Erfüllung eines Traumes, an der der Meister wohl, er als Jude aber niemals würde teilhaben können? Werde er als Jude angegriffen, so hatte er Pfingsten geschrieben, dann werde er sein Blut nicht verleugnen. Hier bahnte sich ein Konflikt an, der die Freundschaft mit George zu belasten drohte. In seinem Geburtstagsbrief vom 10. Juli konnte Kantorowicz die Angst vor einem Bruch nicht länger verbergen. Alle seine Wünsche wolle er an diesem Tag in dem einen zusammenfassen:
    »Es möge Deutschland so werden, wie es sich der Meister erträumt hat!« Und wenn das heutige Geschehen nicht bloß die Grimasse jenes Wunschbildes ist, sondern tatsächlich der wahre Weg zu dessen Erfüllung, so möge das alles zum Guten ausschlagen – und dann ist es gleichgültig, ob der einzelne auf diesem Weg mitschreiten kann – vielmehr: darf – oder statt zu jubeln beiseite tritt. »Imperium transcendat hominem«, erklärte Friedrich II. und ich wäre der letzte, der hier widerspräche. 48
    Den ganzen Sommer über quälte sich Kantorowicz mit der Frage, ob das Reich, das da heraufgezogen war und das die Rasse zum entscheidenden Kriterium der Zugehörigkeit erklärt hatte, das Reich Georges sein konnte. Immerhin hatte der vertrauteste Gefährte seit Heidelberger Tagen, Woldemar von Uxkull, der jetzt in Tübingen Alte Geschichte lehrte, den Geburtstag des Dichters zum Anlass genommen,
seinen Studenten in einer flammenden Rede zu erklären, »wie in Werk und Leben Stefan Georges der ungeheure Umbruch beschlossen liegt«. 49 George soll lächelnd abgewinkt haben. 50 Aber wie ließ sich beweisen, dass es sich bei Woldis Rede um »fatalen Mist« handelte? 51 Obwohl Kantorowicz am gleichen Tag, an dem er seinen Geburtstagsbrief an George schrieb, vom Dekan der Philosophischen Fakultät mitgeteilt worden war, dass er nicht in das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester aufgenommen werde, und obwohl ihm (wenn auch

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