Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Minusio blieben, um das Notwendige zu regeln. Auf Vorschlag von Mehnert und Berthold von Stauffenberg war am Morgen des 4. Dezember das Büro des Reichspräsidenten über den Tod Georges unterrichtet worden. Daraufhin hatte sich der deutsche Konsul in Lugano beim Bürgermeisteramt in Minusio nach dem Zeitpunkt der Beerdigung erkundigt; der deutsche Gesandte in Bern, Ernst von Weizsäcker, sollte für die Reichsregierung einen Kranz niederlegen. Unter den Freunden herrschte Übereinstimmung, dass man keinen Fremden dabeihaben wollte; man ließ dem Konsulat offiziell mitteilen, die Beisetzung finde am Nachmittag des 6. Dezember um 15.00 Uhr statt. Boehringer, der seit Jugendtagen mit Frau von Weizsäcker befreundet war, in Basel den Nikolaus für ihre Kinder gespielt und den Ältesten, Carl Friedrich,
auch mehrmals zu George geführt hatte, setzte sich unterdessen mit dem Gesandten direkt in Verbindung, klärte ihn über die falsche Zeitangabe auf und vereinbarte die Kranzniederlegung für den Nachmittag des 7. Dezember.
Der Streit um den Regierungskranz ließ ahnen, was in den nächsten Wochen und Monaten auf die Freunde zukommen würde. Wie Peter Hoffmann rekonstruieren konnte, hatte der große Lorbeerkranz »ein schwarzweißrotes Band und ein rotes mit schwarzem Hakenkreuz auf weißem Grund; Clotilde Schlayer legte Rosen darauf, die Frank Mehnert wieder wegräumte. Kurz danach wurde das weiße Rund mit dem Hakenkreuz von Unbekannten entfernt; Frank Mehnert und Karl Josef Partsch kauften weißes Leinen und schwarzes Band und wollten von der Köchin Georges Ersatz schneidern lassen, die weigerte sich, sie nähten selbst und brachten das Ergebnis an dem roten Kranzband an.« 73
Die charismatische Herrschaft drohte mit dem Tod des Charisma-Trägers zu zerfallen. Nach allem, was George gelehrt und gelebt hatte, war die Weitergabe seines »Wissens« nur durch persönliche Erziehung möglich. Da potentiell alle, die George nahegestanden hatten, charismatisch befähigt waren, aber keiner unter ihnen vom Herrscher besonders ausgezeichnet worden war und auch die übrigen Formen der Sukzession entfielen, war mit Georges Tod der Zusammenhalt der Gemeinschaft grundsätzlich in Frage gestellt. In erster Linie ging es jetzt um die »richtige« Verwaltung des Erbes, und das bedeutete zunächst: um die »richtige« Form der Pietät. Der Kampf um die NS-Hoheitszeichen war der Kampf um das Deutungsmonopol. Er war voll entbrannt, noch bevor die Blumen auf dem Grab vertrocknet waren.
Bereits in den Abendausgaben vom 4. Dezember erschienen die ersten Nachrufe. Kultusminister Rust hatte die Gelegenheit genutzt, sich gegenüber seinem Konkurrenten Goebbels zu profilieren, 74 und in seinem Beileidstelegramm an die Schwester aus Georges Brief vom 10. Mai zitiert, der dem Ministerium seit längerem in Abschrift vorlag: »Mit Stefan George ist nicht nur einer der größten Dichter unseres
Volkes dahingegangen, sondern auch einer der geistigen Wegbereiter und Künder des neuen Deutschlands. Er, der sich noch kürzlich in einem Brief ausdrücklich zur geistigen ›Ahnherrschaft der neuen nationalen Bewegung‹ bekannte, wird bei uns immer lebendig bleiben.« Etwa die Hälfte aller Zeitungen druckte das Telegramm in der Variante, George habe sich zur »Ahnherrschaft der neuen nationalsozialistischen Bewegung« bekannt. 75 Die meisten Blätter zitierten dazu »An die Toten« (»Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande«) und/oder den Schluss von »Der Dichter in Zeiten der Wirren« (»Der sprengt die ketten … und pflanzt das Neue Reich«). 76 Die Nachrufe selbst waren in der Mehrzahl erstaunlich unpolitisch, jedenfalls moderat; der Völkische Beobachter hob vor allem die ethische Bedeutung des Georgeschen Spätwerkes hervor – das gelesen werden müsse »wie Runenschnitt in deutsches Holz«. 77
Der Einzige, der es wagte, die frohe Botschaft des Kultusministers öffentlich anzuzweifeln, war der Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung , Eduard Korrodi. Er kannte das Georgesche Werk gut und besprach seit Jahr und Tag die Neuerscheinungen. Er könne sich nicht vorstellen, schrieb er am Tag vor der Beerdigung, dass das Bekenntnis zur Nation »ohne wesentliche Einschränkungen« erfolgt sei. Die Deutschen, da sei er sich ganz sicher, würden »diesen Meister unter die Scholle als geheimnisvollen Schweiger sinken sehen. Und vielleicht verbriefte nichts so sehr seine unverbrüchliche Treue zur Dichtung im absoluten Begriff, seine Weisheit
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