Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
und seine Zucht – als das schon sprichwörtlich gewordene Schweigen Georges, das weder für noch wider das völkische Geschehen in Deutschland zu deuten war – ein Schweigen, das im letzten Sinne die Dichtung in ihrer Überzwecklichkeit erhalten wollte.« 78
Bei allem Schweigen war so viel klar: Die Zukunft des Georgeschen Werkes, die Antwort auf die Frage, zu welchem Urteil die Geschichte am Ende gelangen würde, hing entscheidend davon ab, wie sich die politischen Verhältnisse in Deutschland jetzt entwickelten. »Sein Wort, sein Ton, sein Wille ist heute bereits das Wort für Tausende geworden, es wird in zwanzig Jahren das Wort des geistigen
Deutschland sein«, hatte Friedrich Gundolf 1910 prophezeit. 79 Für viele innerhalb und außerhalb des Kreises sah es 1933 so aus, als sei die Prophezeiung in Erfüllung gegangen und das Dritte Reich tatsächlich die Realisierung dichterischer Visionen. Aber war das neue Deutschland wirklich das geistige, das geheime, das Deutschland Georges?
Mehr als zehn Jahre sollte es dauern, bis im Freundeskreis eine Antwort gefunden wurde, die unzweideutig war. Dass sich der Entscheidungsprozess so lange hinzog, lässt ahnen, wie schwer es für die meisten Freunde auch über den Tod Georges hinaus gewesen sein muss, Traum und Wirklichkeit, Wort und Tat auseinander zu halten.
7 Die Tat
Größe und Verhängnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts lagen am 20. Juli 1944 dicht beieinander. Wäre die Aktentasche mit der Bombe, die Stauffenberg am Mittag unter dem Kartentisch in der Lagebaracke des Führerhauptquartiers abgestellt hatte, günstiger platziert gewesen und Hitler getötet worden, hätte die Tat »weltgeschichtliche Bedeutung gehabt«. 1 Die Grenzen in Europa wären anders gezogen worden, Millionen Menschen hätten den Krieg überlebt. Aufgrund einer unglücklichen Verkettung von Zufällen schlug das Attentat fehl. Stauffenberg hatte ein Misslingen nicht ausgeschlossen und war darauf gefasst, dass er »als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen« werde. 2 Ohne ihn, seinen Mut und seine Entschlossenheit wäre es zu einer vor der Welt sichtbaren Tat des deutschen Widerstands gegen Hitler nicht mehr gekommen.
In letzter Konsequenz erweist sich Stauffenbergs Opfergang als die unausweichliche Folge der überzogenen Heilserwartungen von einst. Zwei Wochen vor dem Attentat hatten Claus und Berthold einen »Schwur« aufgesetzt, um den kleinen Kreis der Verschwörer auf gemeinsame Werte zu verpflichten. »Wir wissen im Deutschen die Kräfte, die ihn berufen, die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen.« 3 Das Land, an das die Brüder appellierten und das sie vor dem Untergang retten wollten, war, wie Joachim Fest einmal bemerkte, seinen Bewohnern jedoch zusehends gleichgültig geworden. Existiert hatte es ohnehin nur in der Vorstellung. Als Claus von Stauffenberg kurz nach Mitternacht vor das Erschießungskommando im Hof des Bendler-Blocks geführt wurde, rief er laut, ein letztes Mal die Welt beschwörend, aus der er kam: »Es lebe das geheime Deutschland!« 4
In der Gedächtniskultur der Bundesrepublik Deutschland zählt der 20. Juli zu den ruhmreichen Tagen der neueren deutschen Geschichte. Wer über diesen Tag nachdenkt, wird auch über Leben und Werk des Dichters Stefan George nachdenken, eines Dichters, der glaubte, ein Täter zu sein. »Alles was George sinnt und singt, ist tat und geschieht um der tat willen«, schrieb Friedrich Gundolf 1910. 5 Am Ende des Wegs stand ein Täter, der damit rechnen musste, dass seine Tat nur noch symbolischen Charakter haben würde.
»Das Kapitel deutscher Geistesgeschichte, das ›George – Hitler – Stauffenberg‹ heißt, wartet noch darauf, geschrieben zu werden«, mahnte Sebastian Haffner vor dreißig Jahren. 6 Es handelt vom letzten rauschhaften Höhenflug des deutschen Geistes am Vorabend der Katastrophe, aber auch von Verstiegenheit, Dünkel und Wahn. Am Anfang stand der folgenschwere Irrtum, dass der Geist die eigentliche Macht repräsentiere und alle politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Entwicklungen ihn nichts angingen. Weil er nicht einmal im Jahr 1933 von dieser Hybris ließ, wurde der deutsche Geist, wie ihn Stephan Anton George aus Büdesheim bei Bingen aufgefasst und mit imperialer Geste vertreten hatte, mitschuldig und verschwand für immer im Abgrund der Geschichte.
Vermutlich Minusio, 1932
Anhang
Anmerkungen
Prolog
1 George an Hofmannsthal, 14.
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