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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Deutsche Menschen vorbereitete, berief er sich in der geplanten Einleitung noch einmal indirekt auf George: Die Absicht der vorgelegten Anthologie sei es, »das Antlitz eines ›geheimen Deutschland‹, das man heute so gerne hinter trüben Nebeln sucht, zu zeigen. Denn ein geheimes Deutschland gibt es wirklich.« 58
    Nicht einmal 1940 hielt Benjamin das Georgesche Werk für verloren. Drei Tage vor dem deutschen Einmarsch in Frankreich beschäftigte er sich in einem ausführlichen Schreiben an Adorno mit dessen Aufsatz über den Briefwechsel George-Hofmannsthal. Auch wenn er den Band bisher leider nicht zu Gesicht bekommen habe, sei er doch endlich »einmal in der Lage, Ihnen in einem Bereich zu begegnen, in dem ich mich ganz zu Hause fühle«. Gegenwärtig falle es außerordentlich schwer, »anders von George zu sprechen als von dem Dichter, der mit dem ›Stern des Bundes‹ das choreographische Arrangement des Veitstanzes vorgezeichnet hat, der über den geschändeten deutschen Boden dahingeht«. Umso glücklicher sei er, dass Adorno eben diese »unzeitgemäße und undankbare Aufgabe: eine ›Rettung‹ Georges« in Angriff genommen habe. Georges Werk sei zu Ende gegangen, hatte Benjamin in seiner letzten Rezension 1933 konstatiert, ohne dass er »seinen echten und ihm zugeborenen Kritiker« gefunden habe. In seinem Brief an Adorno fünf Monate vor seinem Selbstmord machte er unmissverständlich
klar, dass der kongeniale Kritiker niemand anderer war als er selbst. 59
    Warum schwieg George, da doch die Gefahr in der Person Adolf Hitler so klar vor aller Augen stand? Benjamin hatte das Stichwort vorgegeben, und allerorten wurde es aufgegriffen. Anfang Oktober – George war gerade am Lago Maggiore eingetroffen – brachte Die Sammlung , die in Amsterdam erscheinende führende Zeitschrift der deutschen Emigration, einen aufsehenerregenden Artikel »Das Schweigen Stefan Georges«. Der Verfasser war der Herausgeber der Sammlung , Klaus Mann. Er stellte eine einzige Frage, nämlich die, was das Schweigen Georges in Bezug auf das Dritte Reich zu bedeuten habe. Nach manchem Für und Wider kam er zu diesem Ergebnis:
    Wir hoffen, dass sein Schweigen Abwehr bedeutet … Wenn er enden will, wie er gelebt hat – mit dem untrüglichen Wissen um Reinheit, Lauterkeit und echten Adel, das uns der kostbarste, unveräusserlichste Teil seines Wesens schien – so verharre er gegen dies neue Deutschland in derselben Geste, die ihm das alte abnötigte: das Haupt weggewendet von einem Geschlecht, das sich täglich in eine noch tiefere Schande verstrickt, als die es war, von der er es reinigen wollte. 60
    George war um den 25. Juli 1933 mit Frank Mehnert von Berlin nach Wasserburg gefahren; dort besuchten ihn Berthold und Claus von Stauffenberg, Cajo Partsch und andere. Weil es am See unerträglich schwül war, wurde Cajo in die Schweiz geschickt, um ein höher gelegenes Hotel zu suchen. Er fuhr auf die gegenüberliegende Seeseite nach Rorschach, von dort hinauf nach Heiden im Appenzellerland und reservierte Zimmer im Nebengebäude des Hotels Krone. Zwei Tage später kamen George, Berthold von Stauffenberg und Mehnert nach. Sie lasen gemeinsam Fahnenkorrekturen des George-Buches von Morwitz, das Mitte November bei Bondi erschien. In Heiden erhielt George Besuch von den »Schweizern«: Robert Boehringer, Wilhelm Stein und zuletzt, nachdem Cajo abgereist war, von einem Neuen, dem zwanzigjährigen Michael Stettler. Er war ein Vetter von Robert von Steiger, der ebenfalls aus Bern stammte und dessen Gedichte
Georges Neugier geweckt hatten; zweimal war er schon in Minusio gewesen.
    Am 23. September schließlich traf George via Basel in Minusio ein. Clotilde Schlayer und Walter Kempner hatten im Voraus alles organisiert, einschließlich einer Köchin. Wie schon in den beiden vorangegangenen Wintern wollte sich Clotilde Schlayer mit Mehnert in der Betreuung Georges abwechseln; Kempner, der eine Woche später abreiste, erteilte in täglichen Telefonaten ärztlichen Rat und wachte über die Diät. George sollte sich fleischlos ernähren, viel Rohkost zu sich nehmen, den Wein verdünnen und das Rauchen einstellen. George versuchte, die Vorschriften großzügig zu umgehen.
    Berthold von Stauffenberg, der erste Besucher in diesem Jahr, kam am 27. September aus Bamberg. Sein Bruder Claus hatte dort am Vortag seine langjährige Verlobte Nina von Lerchenfeld geheiratet. Nach dem Essen waren sie zu dritt losgefahren; Berthold stieg in Bellinzona um, das

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