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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Schwester lebte. In diesem oder im darauf folgenden Herbst soll dort bei Gängen durch den Nymphenburger Park die
berühmte Gedichtreihe »Komm in den totgesagten park und schau« entstanden sein.
    Ida Coblenz war nach wie vor tief unglücklich und oft wochenlang krank. Hauptursache ihrer Leiden dürften die forcierten Bemühungen des Vaters gewesen sein, sie endlich angemessen zu verheiraten. »Um dem Druck des Vaterhauses zu entrinnen«, so hat es der Dehmel-Biograph Julius Bab zusammengefasst, »heiratete Ida Coblenz enttäuscht, erbittert, bis zur Hoffnungslosigkeit ermüdet, schließlich irgendeinen der Bewerber, die der Vater ins Haus brachte.« Das Los fiel auf Leopold Auerbach, einen Textilhändler aus Berlin, der im Boom der späten achtziger Jahre ein Vermögen gemacht und sich zur Abrundung seiner Karriere den Titel eines argentinischen Konsuls gekauft hatte. »Den Kerl nur zu sehen«, empörte sich George noch ein halbes Jahrhundert später, »banal, plump, zudringlich, wie aus den ›Fliegenden Blättern‹.« Idas Biograph drückte sich etwas galanter aus und wählte einen Vergleich aus der zeitgenössischen Literatur: »Das Paar wirkt wie das Abbild der jungen Effi Briest und des selbstsicheren Barons von Innstetten.« 63
    Am 2. April 1895 wurde geheiratet, und schon auf der Hochzeitsreise nach Paris machte Frau Consul Auerbach, wie sie sich nun nannte, ihre ersten unangenehmen Erfahrungen. Tagsüber amüsierte sich der Herr Gemahl auf der Pferderennbahn in Longchamp, schlemmte sich abends durch die Luxusrestaurants der Stadt und überredete seine Frau anschließend, mit ihm durch die Nachtlokale zu ziehen. Wo blieb die Kunst? Einen Vorteil zumindest brachte das Leben an der Seite dieses Mannes. Ida, die ihren Hang zum Luxus nie geleugnet hatte, konnte fortan ungeniert in großem Stil repräsentieren. Das »Consul Auerbach’sche Haus« am Rande des vornehmen Berliner Tiergartens, von ihr verschwenderisch eingerichtet, sollte zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens werden. Besonders willkommen sollten die Künstler sein, deren Schaffen sie nach allen Seiten vermittelnd und mit dem Geld ihres Mannes auch mäzenatisch zu fördern gedachte.
    George war Ende März von seiner Schwester über die bevorstehende
Hochzeit unterrichtet worden; er solle auf keinen Fall versäumen zu gratulieren. 64 Statt einer Karte schickte George grußlos sein Porträt, eine Radierung von Hermann Schlittgen, die als Beilage zum jüngsten Heft der Blätter soeben erschienen war. Ida fasste die Zusendung »als stumme Frage« auf und versicherte George in einem langen Brief, dass sich in ihrem Verhältnis zu ihm nichts geändert habe: »Ja, ich kann mich nicht entsinnen, dass irgend ein größeres Ereigniß meines Lebens von so geringer Bedeutung für mich gewesen wäre, als meine Eheschließung.« 65 Sie ließ durchblicken, wie unglücklich sie in der Ehe sei, und schon sechs Wochen später brach es aus ihr heraus:
    Sie kannten mich doch, ich hatte Ihnen mich gezeigt, wie vielleicht, nein gewiß keinem Andern. Warum nahmen Sie mich nicht bei der Hand und sagten: »Das kannst Du nicht tragen. Der Schlamm wird über Dir zusammen schlagen, und über Deinen Lilien.« Und wäre der Mann, dem ich bereit war mich hinzugeben, weil ich nicht wußte was hingeben sei, der Klügste, der Beste, der Schönste gewesen – mein Elend wäre dasselbe. Ich ersticke, ersticke im Schlamm. Es giebt für dieses Grauen, für dieses Gräßliche keine Worte, keine Farben, keine Töne. Es ist dafür nur völlige Verzweiflung, Entsetzen bis zum Wahnsinn, Wahnsinn. 66
    Ihren sexuellen Ekel nach drei Monaten Ehe vertraute die 25-Jährige demjenigen an, bei dem sie auf das meiste Verständnis hoffen konnte. Idas Vorwurf, George hätte sie warnen müssen, schoss allerdings übers Ziel hinaus, denn vor ihrer Eheschließung wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, solche Intimitäten mit ihm zu erörtern. Jetzt suchte sie Trost bei ihm, und George enttäuschte sie nicht. Zwar könne er sich nicht so über das »Grässliche« verbreiten wie sie, ja, er frage sich, ob man überhaupt darüber reden solle. Da sie aber aufgewachsen seien wie »bruder und schwester«, setze er eine stille Übereinkunft zwischen ihnen voraus: »Haben Sie denn in meinem gesicht nie geraten dass es … das nämliche ›grässliche‹ war was meines lebens ganze qual gewesen ist und möglicherweise sein wird.« 67
    Ida Auerbach fing sich wieder. Und sie ging ihrer

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