Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
Vom Netzwerk:
mehreren Ländern aufgebauten Netzwerke. Innerhalb
weniger Wochen war aus einem beiläufig geäußerten Wunsch, einmal öffentlich aufzutreten, ein Event geworden.
    Der Auftritt am 28. März 1896 in Den Haag erfüllte alle Erwartungen. Der Mitherausgeber der Tweemaandelijksch Tijdschrift , Lodewijk van Deyssel, der Dandy der holländischen Literatur, dessen ästhetischen Ansprüchen sonst niemand genügte, war von George entzückt. Von deutscher Dichtung sei in Holland lange nichts mehr zu hören gewesen, meinte er in einer Besprechung, jetzt aber habe er einen Mann kennengelernt, »der zugleich Deutscher und Dichter ist«:
    Wer ihn sah und hörte, wird tief beeindruckt gewesen sein von dem zart-majestätischen Adel seiner Erscheinung und von dem stillen, feinen Klang, in dem er seine Verse sprach … Nachdem er sitzend gelesen, erhob er sich, um seine neuen Gedichte aufzusagen; dies war ein Augenblick von so schlank aufragender Fürstlichkeit und hochgemuter geistiger Eleganz … dass man den Besuch ein einmaliges Ereignis nennen dürfte. Er war der DICHTER, das ist hier der geistige Künstler durch und durch … genau das, was ein Schriftsteller in seinem höchsten Ausdruck sein soll: dem Geiste nach ein Fürst. 5
    Van Deyssel nannte den Auftritt »vollendet graziös«. Man habe den Eindruck gewonnen, George bewege sich »auf den Rhythmen des unaufhörlichen Flüstergesangs seiner Seele«. Vor Beginn der Lesung, als man in kleinem Kreis zusammensaß, sei ihm das besondere Spiel der Hände aufgefallen. Georges Unterarme hätten locker und bequem auf den Lehnen seines Stuhls geruht, so dass seine Hände frei herabhingen; um einzelnen Sätzen Nachdruck zu verleihen, habe er nur diese Hände gelegentlich kurz angehoben – wie »aufblitzende Sterne«. Zehn Tage nach der Lesung im »Haagsche Kunstkring« fasste van Deyssel seine Eindrücke noch einmal zusammen:
    Nachdem wir so im Kreis gesessen hatten, ging er für zwanzig Minuten hinaus, um sich umzuziehen; uns verwunderte die Höflichkeit, mit der er um uns herumging und sich an der Tür verbeugte: »Meine Herrschaften, ich empfehle mich.« Im »Kunstkring« sahen wir ihn wieder: im Rock – sehr korrekt, schöne Verbeugung vor Fräulein Kempees, bloße Hände, schöne Haltung der Hände beim Verbeugen. Dann – das Sitzen, das Lesen, die Verbeugung vor den Hörern. Er sagte: »Meine Damen und Herren«. Der untere Teil seiner Stirn vorgeschoben. Tief darunter die bleich-blauen Augen, so bleich, dass sie dann und wann vollkommen perlgrau wurden. 6

    Das Artifiziell-Aristokratische im Auftritt Georges überzeugte van Deyssel umso mehr, als er das Ambiente »sehr bürgerlich und klein« nannte. »Es war auch eine Opernsängerin da, in rosa Bluse und schwarzem Samtrock, mit langen weißen Handschuhen, die sehr laut deutsche und italienische Lieder sang.« Musikalische Einlagen entsprachen dem Geschmack der Zeit. George hat später, wohl auch aufgrund der Haager Erfahrungen, jede Unterbrechung seiner Lesungen abgelehnt und im Vorfeld alle Details besprochen.
    Am Morgen nach der Lesung fuhren George, van Deyssel und Verwey gemeinsam nach Noordwijk. Van Deyssel las seinen Aufsatz »Kunst ist Passion« vor, den George für so bedeutend hielt, dass er ankündigte, Auszüge ins Deutsche zu übertragen, sobald er die Sprache besser beherrsche. Auch der Dichter Herman Gorter, der Georges Lesung ebenfalls beigewohnt hatte, war an diesem Tag Gast in Noordwijk. Aus seinem großen epischen Gedicht »Mei« verdeutschte George mit Hilfe einer wörtlichen Übersetzung, die ihm Gorter zur Verfügung stellte, den Anfang des zweiten Gesangs. Weil sich Verwey später mit Gorter überwarf, distanzierte sich George von ihm und nahm »Mai« nicht in seine Anthologie Zeitgenössiche Dichter auf. 7 Solidarität ging vor.
    Bei ihrem sonntäglichen Zusammensein in Noordwijk kamen die versammelten Dichter unter anderem auf Maurice Maeterlinck zu sprechen. George hatte dem belgischen Symbolisten, der zu den erfolgreichsten Dramatikern in Europa zählte, 1891 ein Exemplar der Hymnen zugeeignet und ihm anschließend, ermutigt durch ein freundliches Dankschreiben, auch die Pilgerfahrten und die Baudelaire-Übertragungen geschickt. Wenig später war George von seinen Lütticher Freunden auf Charles van Lerberghe aufmerksam gemacht geworden, einen ehemaligen Mitschüler Maeterlincks, den sie für den eigentlichen Begründer des Symbolismus in Belgien hielten. Im Mai 1893 brachten die Blätter eine

Weitere Kostenlose Bücher