Stefan Zweig - Gesammelte Werke
dem Dunkel in die Helle,
Schlacke nicht und nicht mehr Glut,
Heimwärts wehte in die Welle
Uferloser Lebensflut?
Legenden
Stockholm 1945
Rahel rechtet mit Gott
A bermalens hatte das halsstarrige und wetterwendische Volk zu Jerusalem des geschworenen Bundes vergessen, abermalens hatten sie den erzenen Götzen von Tyr und Ammon blutige Gabe gebracht. Und nicht genug des Frevels, daß sie jenen räucherten auf Höhen und steinernen Altären – auch in Gottes leibeigenes Haus, das Salomo, sein Knecht, ihm gebaut, stellten sie Bildnis des Baal und schwemmten die Fliesen mit Schlachtwerk, bis die heilige Stätte stank von Raucher und Blut.
Als nun Gott sah, daß sie seiner spotteten bis in das innerste Herz seines Heiligtums, da entbrannte mächtig sein Zorn. Er reckte die Rechte, und sein Schrei zerschlug lang alle Himmel: zu Ende sei nun seine Langmut, austilgen wolle er die sündige Stadt und ihre Völker wie Streu zersprengen über den Rücken der Erde. Ein Donner, sprang diese Verkündigung auf und dröhnte von einem bis zum anderen Ende seiner Unendlichkeit.
Schaudernd erbebten, als so der Ingrimm Gottes zur Stimme ward, die gefesselte Erde und die Höhen des Himmels. Es flohen die Ströme davon und beugten sich die Meere, es wankten die Berge Trunkenen gleich, und sanken die Felsen ins Knie. Die Vögel stürzten tot aus den Lüften, und selbst die Engel bargen ihr Haupt unter die riesigen Flügel, denn auch sie, die Fühllosen, vermochten den Blitz seines Zornblickes nicht zu schauen, und der Schrei seines Ingrimms fuhr ehern in ihr Ohr.
Einzig tief unten die Menschen in ihrer gerichteten Stadt, dem Himmlischen taub, sie wußten nichts von dem Spruch ihres Endes. Nur dies gewahrten sie, daß mit einemmal die Festen der Erde erbebten und auslosch das Helle am leuchtenden Tag und ein Sturmwind anhub, unter dem die Zedern wie Halme brachen und die Büsche sich duckten wie kleines Getier. Auf dem Rücken des Sturmes aber kamen Wolken gefahren und verhängten den Himmel mit Finsternis, ob ihren Häuptern hob Verderbnis sich, und unter ihren Füßen schwankte gleich Wasser der Grund. Da entstürzten jäh die Geschreckten ihren Häusern, damit der First nicht über sie falle, und als sie aufsahen, erschraken sie abermals, denn schon hing das Gewölk über ihnen dräuender als Fels, und feurig von Schwefelfaden schmeckte die sausende Luft. Vergebens, daß sie nun Irrwitzigen gleich ihre Kleider sich abrissen und die Haare vollwühlten mit Staub, vergebens, daß sie ihr Antlitz zur Erde warfen und den Herrn um Vergebung anriefen für ihren Vorwitz – die Wolke wuchs weiterhin schwarz, und es erlosch das lebendige Licht über dem Lande.
So dröhnend aber war der Ingrimm Gottes ins Wort gefahren, daß nicht nur die Lebendigen seine Kündung hörten; auch die Toten wachten auf in ihren Gräbern, und die Seelen der Verstorbenen schraken wach aus ihrem beinernen Schlaf. Denn so ist es geteilt und bestimmt: nicht dürfen die Toten Gottes Antlitz schauen – einzig die Engel ertragen solch ein Unmaß lodernden Lichts –, doch die Posaunen des Gerichts zu hören und seine Stimme zu vernehmen ist ihnen gegönnt. So stunden die Toten senkrecht auf in ihren Gräbern und fuhren nach oben. Flatternd wie Vögel wider großen Wind, scharten sich die Seelen der Väter und Urväter alldort im Kreise, damit sie vereint den Allmächtigen anflehten und die Rache wendeten von ihren Kindern und den Zinnen der heiligen Stadt. Isaak und Jakob und Abraham, die Erzväter, einer gedrängt an den andern, traten vor zur rauschenden Bitte. Doch der Donner zerbrach ihren Ruf, und in ihr Stammeln fuhr neuerdings des Herrn Wort: überlang schon habe er geduldet das Unmaß des Undanks, jetzt aber wolle er den Tempel zerschmettern, damit im Zorn ihn erkenneten, die seiner Liebe sich gewehrt. Und da nun die Erzväter hinsanken in die Ohnmacht des Worts, traten vor die Propheten Moses, Samuel, Elias und Elisa, die Gottes eigene Rede im Munde trugen, sie traten vor, die Männer der feurigen Zunge, und hoben ihr Herz an die Lippe. Doch der Herr achtete ihrer Rede nicht, und sein Wind schlug den Uralten ihr Wort zurück in die Barte. Und schon schärften sich die Blitze, um ihr fressendes Feuer in Turm und Tempel zu werfen. So war den heiligen Männern der Mut genommen, wie zertreten Gras schauerten ihre Seelen leer vor dem Herrn, und kein Wort wagte zu atmen wider seinen Zorn. Verschüchtert schwieg jede irdische Stimme – da trat Rahel, die Erzmutter
Weitere Kostenlose Bücher