Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Doch sieben Jahre, Herr, geruhe es zu bedenken, uns Menschen sind sie ein Zehent des Lebens, denn kaum daß wir die Augen aufschlagen vom Dunkel in dein heiliges Licht, schon schließt sie uns neu die Nacht unseres Todes. Wie ein Strom im Frühling strömt rasch unser Leben, und keine Welle kehrt da nochmals zurück. Sieben Jahre darum, eine Ewigkeit dünkte sie uns Ungeduldigen, nie zu durchmessen, sieben Jahre der Ferne, indes doch ein Leib nahe weilte dem andern und die Lippe verdurstete nach des Geliebtesten Kuß. Aber dennoch, Herr, beugte sich Jakob dem Spruche, dennoch neigte ich mich meines Vaters Geheiß. Und wir faßten unser Herz in die Hände, daß wir es zähmten zu Gehorsam und großer Geduld.
Herr, aber wie schwer ist dies Gedulden deinen Geschöpfen, denn heiß hast du uns das Herz in den lebendigen Leib getan und tief innen ein wissend Ängsten gepflanzt um die Kürze unserer irdischen Frist. Wir wissen, Herr, nah hängt der Herbst unserem Frühling, und der Sommer unseres Lebens, er währet nicht lange; darum wogt solch ein Ungedulden in unserem irdischen Blut, darum fährt so gierig unsere Hand aus, Geliebtes zu greifen und selbst des Vergänglichen sich eilends zu freuen. Wie sollten wir warten lernen, die wir altern in der Zeit, wie uns gedulden, die wir auslöschen über Nacht, wie sollten wir nicht brennen, an denen Zeit zehrt mit sausender Flamme, nicht eilen, die wir verfolgt sind von tödlichem Schritt! Dennoch aber, Herr, dennoch haben wir uns bezähmt und blieben mächtig wider unser Verlangen. Jeder Tag dauerte tausend Tage unserer Sehnsucht, so liebten wir einander. Und doch, als sie vergangen waren, dünkten die sieben Jahre des Wartens uns nicht mehr denn ein einziger Tag. So habe ich, Herr, auf Jakob gewartet, so hat mich Jakob geliebt.
Als dann zum siebentenmal das Jahr sich wendete, trat ich freudig vor Laban, meinen Vater, und heischte das Zelt der Vermählung. Doch Laban, mein Vater, sah hinweg über meine Freude, eine Wolke war seine Braue und ein starres Siegel sein Mund. Dann aber befahl er mir, Lea zu holen, meine Schwester. Lea, meine Schwester – Herr, du weißt es –, war die Erstgeborene und zwei Jahre vor mir kommen aus meiner Mutter Schoß. Unschön hattest du das Antlitz ihr gestaltet – so achteten die Männer ihrer nicht, und daß keiner ihrer begehrte, grämte sie sehr. Eben aber um ihres Leidens willen und ihrer Linde war sie mir lieb. Doch da mein Vater mir gebot, sie vor ihn zu führen, und mich auswies vom Zelte, da ahnte mir eilends, er wolle ein Trügliches mit ihr sinnen. So verbarg ich mich nebenan, ihrer Abrede zu lauschen. Mein Vater aber redete so:
›Höre, Lea, mein Schwestersohn Jakob ist gekommen und dient sieben Jahre schon, um Rahel zu freien. Doch dies dulde ich nicht um deinetwillen, denn wie ginge es an, daß die Jüngere das Haus vor der Älteren verlasse und die Erstgeborene unbemannt bleibe, den Mägden zum Spott. Wider Gottes Willen, lästerlich und töricht wäre solcher Brauch. Denn an den Anfang der Welt, in die Morgenfrühe der Erde hat der Herr uns gesetzt, daß wir sein Weltall ihm füllten mit Menschen und daß Myriaden einst seien, seinen Namen zu loben. Nicht will er, daß sein Boden brach bleibe und, was er lebend gezeugt, ohne Zeugung hingehe und Frucht. Kein Widder und keine Färse nachten in meinem Stalle, ohne daß sie sich mehrten – wie sollte ich da dulden, daß mein eigen Kind verschlossen bleibe in Schande und Scham. Darum rüste dich, Lea, nimm den bräutlichen Schleier und schließe ihn dicht über deinem Antlitz, daß ich dich zu Jakob führe an Rahels Statt.‹ So sprach mein Vater zu Lea, die ängstlich erbebte und schwieg. Kaum hatte mein Herz solche Trugrede vernommen, so entbrannte es in Zorn wider Laban, meinen Vater, und wider Lea, meine Schwester – verzeihe es, Herr! Aber bedenke, Herr, bedenke doch nur, sieben Jahre hatte jener gedient einzig um meinetwillen, sieben Jahre hatten wir liebend gedarbt eines des andern, und nun sollte die Schwester umfangen, der meiner Seele inniger war denn der eigene Leib? Da stemmte mein Sinn sich störrig auf und ich empörte mich wider meinen Vater, so wie meine Kinder sich empörten wider dich, ihren ewigen Vater, denn auch dies, Herr, hast du in uns getan, daß starr uns der Nacken wächst im Zorn, sobald uns ein Unrecht geschieht. So drängte ich mich heimlich zu Jakob und mahnte ihn flüsternd, er möge sich wahren, daß morgen mein Vater nicht eine andere ihm
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