Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Israels, allein aus dem Wald ihres Ängstens. Auch sie hatte in ihrem Grabe zu Ramah Gottes Zornwort vernommen, und die Tränen rannen ihr nieder, da sie ihrer Kindeskinder gedachte. So packte sie stark die Kraft im eigenen Leibe und stieß sich hin vor den Unsichtbaren. Kniend erhob sie ihre Hände, kniend erhob sie ihr Wort zu dem Herrn:
»Das Herz bebt mir im Leibe, zu dir zu sprechen, Allmächtiger, doch wer denn du schufst mir dies Herz im Leibe, daß es bebend werde in deiner Furcht, und wer die Lippe, daß sie ihre Angst ausgieße ins Gebet? Aus deiner Furcht schreie ich mich auf in deine Liebe, aus meiner Kinder Not hebe ich mein klein Wort in deine Unendlichkeit. Nicht Klugheit gabst du mir, noch List, und nichts finde ich, um dein Zürnen zu beschwichtigen, denn von mir selber zu sprechen, wie ich einstens meinem Zorn obsiegte. Wohl weiß ich, du kennst meine Rede, ehe sie geredet, ist doch in ihr jedes Wort längst gestaltet, ehe es Laut wird an der Menschen Lippe, und jede Tat, ehe sie ausfährt unserer irdischen Hand. Dennoch aber, ich flehe dich an, höre mich geduldig um der Sündigen willen.«
So geredet, beugte Rahel ihr Antlitz. Gott aber sah die Gebeugte und sah ihre Tränen. Da hielt er einen Atemzug inne in seinem Ingrimm, auf daß er der Leidenden lausche.
Das Lauschen Gottes aber in seinen Himmeln füllt alle Räume mit Leere und tötet die Zeit. Kein Wind wagte zu wehen, es verbarg sich der Donner, das Kriechende kroch nicht, das Beflügelte flog nicht, und kein Hauch ging keinem vom Munde. Stille standen die Stunden und erzen harrten die Cherubim. Denn das Lauschen Gottes zieht den Atem ein alles Lebens und endet das Rauschen der Himmel; selbst die Sonne wandelte nicht und es rastete der Mond, und alle Ströme gingen stumm ein in seine Gegenwärtigkeit.
Tief unten aber auf Erden kauerten die Menschen und ahneten von Rahels Fürspruch nichts und nichts vom Lauschen in Gottes Ohr. Denn unwissend sind sie allezeit des Göttlichen und können nicht raten, was in den Himmeln geschieht. Nur dies gewahrten sie, daß mit einemmal das Stürmen innehielt über ihnen. Aber als sie hoffend aufblickten zur Höhe, stand die Wolke noch schwarz gefügt wie der ebene Deckel eines Sarges, und ohne Atem drohte die Finsternis. Da erschraken sie abermals sehr, und so kalt umfing sie die Stille wie das Hemd der Toten den verstorbenen Leib.
Rahel aber, da sie das Lauschen Gottes fühlte, sich zugewandt, hob das Antlitz aus ihren Tränen und sprach mit dem Mute der Angst:
»Hirtin war ich, Labans Tochter – du weißt es – im Lande Haran, das gen Morgen liegt, und hütete meines Vaters Schafe nach seinem Gebot. Da wir sie aber eines Morgens zur Tränke führten und die Mägde nicht wußten den Stein des Brunnens zu rücken, sprang ein Jüngling helfend ein, fremd und wohlgestalt, und wir standen erstaunt von seines Leibes Kraft. Jakob war es, den du uns gesandt, meines Vaters Schwestersohn, und kaum daß er sich nannte, führte ich ihn hin in meines Vaters Haus. Nur eine Stunde war es, daß wir einer den andern gesehen, und schon brannten unsere Blicke inwendig uns ein und unsere Herzen sehnten sich eines dem andern zu. Und ich lag nachts wach, seiner begehrend – doch siehe, Herr, ich schämte mich meines Blutes nicht, denn wer, wenn nicht du, Herr, hast dies in uns getan, daß jählings das Herz uns aufbricht zum flammenden Dornbusch der Liebe? Von dir, Herr, von dir allein ist es gewollt, daß die Jungfrau sich öffne dem Manne, daß Blick in Blick und Leib zum Leibe stürmig sich dränge. Darum wehrten wir unserem Feuer nicht, sondern tauschten ein Gelöbnis der Verbindung an jenem ersten Tag noch, da Jakob mich, Rahel, sah.
Mein Vater Laban aber – Herr, du weißt es – war ein harter Mann, hart wie die steinige Erde, die er wundriß mit dem Pfluge, hart wie das Horn seiner Stiere, die er niederbeugte ins Joch. Und als Jakob mich heimzuführen begehrte, wollte er ernstlich erproben, ob jener Mann wäre nach seinem Willen, hart im Dienste und ehern in Geduld. So heischte er von dem Werbenden – Herr, du weißt es –, daß er ihm vorerst sieben Jahre um meinetwillen diene. Meine Seele erbebte, dies lauschend, und abstarb das Blut in Jakobs Wangen, so unendlich lang schien uns Ungeduldigen die Frist. Denn sieben Jahre, Herr, ich weiß es, für dich sind sie bloß ein Tropfen, der niederfällt, ein Wimperschlag kaum deinem ewigen Auge, geht doch wie Rauch die Zeit durch die Himmel deiner Urewigkeit.
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