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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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zulege an meiner Statt. Und damit er kundig sei wider jedweden Trug, lehrte ich ihn ein Zeichen des Erkennens. Dies Zeichen des Erkennens aber war, daß die Braut zu dreien Malen ihm die Stirn küßte, ehe sie eintrat in sein Zelt. Und Jakob verstand mich und merkte das Zeichen.
    Des Abends ließ Laban die bräutlichen Schleier für Lea rüsten. Zwiefach umtat er ihr Antlitz, damit Jakob nicht vorzeit, ehe er ihren Leib erkannt, die Unterschobene erkenne. Mich aber verwies er in den Speicher, daß nicht einer der Diener mich gewahre und den Betrogenen warne. Eine Eule saß dort im Dunkel, und so wie die Stunde wuchs gegen Abend, so wuchs auch der Ingrimm in meinem Herzen, daß ich meinte, ausspringen müsse das Schmerzhafte meiner zuckenden Brust, denn – Herr, du weißt es – ich gönnte meiner Schwester Jakobs Beilager nicht. Und ich biß die Zähne in die Fäuste, als unten der Zimbeln Frohlocken anhub, und Schmerz und Neid zerrissen wie zwei Löwen meine Seele.
    So lag ich versperrt und vergessen und fraß meinen eigenen Zorn, und schon ward es dunkel unter dem Dache, gleich dem Dunkel mir innen, da ging mit einemmal leise die Tür. Und siehe, Lea, meine Schwester, sie war es, die heimlich zu mir schlich vor ihrem bräutlichen Weg. Schon an dem Schritt erkannte ich sie, allein, obzwar ich sie erkannte, wandte ich mich feindlich ab, als erkennete ich sie nicht, denn mein Herz stand starr gegen sie. Milde jedoch nahte mir Lea, zart rührend an mein Haar mit ihren Händen, und als ich aufschaute, gewahrte ich, daß eine Wolke der Angst den Stern ihrer Augen verhüllte. Siehe, Herr – ja, ich gestehe es dir –, in diesem Augenblick frohlockte das Böse in mir. Wohl tat mir ihre Bangigkeit, wohl tat mir ihr Ängsten, und wie Rache letzte dies Fühlen mich, daß auch ihr bitter worden mein eigener bräutlicher Tag. Sie aber, die Unselige, sie ahnete nichts von meiner bösen Freude, hatten wir doch die Milch der Mutter geschwisterlich geteilt und liebten einander ohne Abbruch von Kindheit her. So kam sie vertraulich und umfing meine Schulter. Ihre Lippen aber bebten noch blaß vor Angst, da sie klagte:
    ›Wie soll das werden, Rahel, meine Schwester? Mir ist so weh dessen, was der Vater getan. Dir hat er den Geliebten genommen und mir ihn gegeben – mich aber widert’s, den Arglosen zu trügen, denn wie könnte ich aufrechten Hauptes zu ihm gehen, der deiner begehrt, und mich ihm zugesellen? Ich fühle es, mein Schritt will mich nicht tragen und mein Herz redet mir ab, ich habe Angst, Rahel, ich habe Angst, denn wie könnte es sein, daß jener mich nicht erkennete beim ersten Blick? Und Schande, wird sie nicht siebenfach auf mich fallen, wenn er mich unerbrochen jagt aus seinem Haus und Gezelt? Bis ins dritte Geschlecht werden die Kinder dann wider mich spotten: Lea ist dies, die Häßliche, die gierig zu einem Manne lief, damit er sie erkenne, und die er von sich gejagt wie ein räudiges Tier. Was soll ich tun, Rahel, hilf mir, du lieb Geschwister, soll ich es wagen oder soll ich Trotz bieten dem Vater, dessen Hand schwer auf uns hegt? Was soll ich tun, Rahel, damit Jakob nicht vorzeit mich erkenne und nicht Schande auf mich Schuldlose falle? Hilf mir, Schwester Rahel, hilf mir, ich flehe dich an um des Allerbarmenden willen!‹
    Herr, noch stand der Zorn mir aufrecht im Leibe, und obzwar ich jene liebte, frohlockte noch immer das Böse in mir und ihre Angst letzte mich wie ein köstlich Gericht. Da sie aber deinen heiligen Namen nannte, Herr, deinen heiligsten Namen, den Namen des Allerbarmers – Herr, da durchfuhr’s mich wie ein feuriger Strahl, umgeschüttelt ward mir mein Herz im geweiteten Leibe, und deiner Güte Gewalt, deines Erbarmens rauschende Macht, Herr, süß fühlte ich sie eindringen in die verdunkelte Seele. Denn dies ist deiner ewigen Wunder eines, Herr, daß die Wand des eigenen Leibes von uns fällt, sobald wir die Qualen des Nächsten erkennen und wissend eingehen in seine schmerzende Brust. Als die meine fühlte ich meiner Schwester Angst mit einemmal innen, und nicht meiner dachte ich mehr, sondern einzig ihrer schreienden Not. Und, mitleidend meiner Schwester Leid, erbarmte ich mich ihrer, ich, deine törichte Magd – Herr, höre jetzt wohl auf mein Wort! –, ich erbarmte mich ihrer zu jener Stunde, weil sie in Tränen vor mir stand, so wie ich in Tränen vor dir stehe. Ich erbarmte mich ihrer, weil sie meine Barmherzigkeit anrief, so wie ich die deine nun anrufe mit brennendem Mund.

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