Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Blau überglänzte unendlich die Räume. Da rauschten die Cherubim auf mit klingenden Flügeln, und silbernen Fußes sprang der Wind ihren Fittichen nach, daß ein flüssig Tönen ging von Chorälen in des Himmels weißem Gezelt. Das Leuchten aber auf Gottes Antlitz wuchs zu unendlichem Glanz, bis die Firmamente solche Fülle nicht mehr trugen und zu strömen begannen vom Brausen des Lichts. Und aufklangen darin heiliger Eintracht die Stimmen der Engel und die Stimmen der Toten und aller jener, die Gott noch nicht zur Erde gerufen, bis alles ein selig Atmen ward und ein großer Gesang. Die Menschen aber tief unten, ewig dem Ratschluß der Himmlischen fremd, sie ahnten noch immer nicht, was ob ihren Häuptern geschah. In Sterbegewänder gehüllt, beugten sie dumpf die Stirn zur verdunkelten Erde. Da war plötzlich dem einen und andern, als ob über ihnen ein sanftes Sausen anhübe gleich einem märzlichen Wind. Unsicher blickten sie auf und erstaunten. Denn auf der zerspaltenen Wand des Gewölks stieg mit einmal ein Regenbogen herrlich nach oben und trug in den sieben Farben des Lichts ihre Tränen Rahel, der Mutter, entgegen.
Die Augen des ewigen Bruders
Nicht durch Vermeidung jeder Tat wird wahrhaft man vom Tun befreit,
Nie kann man frei von allem Tun auch einen Augenblick nur sein.
Bhagavad-Gita, 3. Gesang
Was ist denn Tat? was ist Nichttun? – Das ist’s, was Weise selbst verwirrt.
Denn achten muß man auf die Tat, achten auf unerlaubtes Tun. Muß achten auf das Nichttun auch – der Tat Wesen ist abgrundtief.
Bhagavad-Gita, 4. Gesang
Dieses ist die Geschichte Viratas,
den sein Volk rühmte mit den vier Namen der Tugend, von dem aber nicht geschrieben ist in den Chroniken der Herrscher noch in den Büchern der Weisen und dessen Andenken die Menschen vergaßen.
I n den Jahren, ehe noch der erhabene Buddha auf Erden weilte und die Erleuchtung der Erkenntnis eingoß in seine Diener, lebte im Land der Birwagher bei einem König Rajputas ein Edler, Virata, den sie den Blitz des Schwertes nannten, weil er ein Krieger war, kühn vor allen andern, und ein Jäger, dessen Pfeile nie fehlten, dessen Lanze nie sich vergeblich schwang und dessen Arm niederfiel wie ein Donner über den Schwung seines Schwertes. Seine Stirne war hell, aufrecht standen seine Augen vor der Frage der Menschen: nie ward seine Hand gekrümmt gesehen zum bösen Knollen der Faust, nie seine Stimme gehört im Schreie des Zorns. Er diente als ein Treuer dem Könige, und seine Sklaven dienten ihm in Ehrfurcht, denn keiner war als rechtlicher gekannt an den fünf Strömungen des Flusses: vor seinem Hause beugten sich die Frommen, wenn sie vorübergingen, und die Kinder lächelten in den Stern seines Auges, wo sie ihn erblickten.
Es geschah aber, daß Unheil fiel über den König, dem er diente. Seines Weibes Bruder, den er zum Verwalter gesetzt über die Hälfte seines Reiches, gelüstete es nach der Gänze, und er hatte heimlich die besten Krieger des Königs mit Geschenken verlockt, daß sie ihm dienten. Und er hatte die Priester beredet, daß sie nächstens die heiligen Reiher des Sees ihm brachten, die ein Zeichen der Herrschaft waren seit tausend und tausend Jahren in dem Geschlecht der Birwagher. Elefanten und Reiher rüstete der Feindliche im Felde, sammelte die Unzufriedenen der Berge zu einem Kriegsheer und zog drohend gegen die Stadt. Der König ließ von morgens bis abends die kupfernen Becken schlagen und aus den weißen Hörnern von Elfenbein blasen; nachts zündeten sie Feuer auf den Türmen und warfen die zerriebenen Schuppen der Fische in die Lohe, daß sie gelb aufglühten unter den Sternen als Zeichen der Not. Aber wenige nur kamen; die Kunde vom Raube der heiligen Reiher war schwer auf die Herzen der Führer gefallen und machte sie zag: der oberste der Krieger und der Hüter der Elefanten, die bewährtesten unter den Feldherren, weilten schon im Lager des Feindes, vergebens blickte der Verlassene nach Freunden (denn er war ein harter Herr gewesen, streng im Gericht und ein grausamer Eintreiber der Fron). Und er sah keinen von den bewährten unter den Hauptleuten und keinen der Anführer des Feldes vor seinem Palaste, nur ratlose Schar von Sklaven und Knechten.
In dieser seiner Not gedachte der König Viratas, der ihm Botschaft der Treue gesandt bei dem ersten Ruf der Hörner. Er ließ die Sänfte von Ebenholz rüsten und sie hintragen vor sein Haus. Virata neigte sich zur Erde nieder, da der König der Trage
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