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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Krieger, damit ich mein Reich sicher wisse vor jedem Feind, denn nie hat einer der Helden besser ein Heer geführt gegen die Übermacht: nimm meinen Gurt als Zeichen der Macht und dies mein Roß, daß dich alle erkennen als höchsten meiner Krieger.«
    Aber Virata beugte noch einmal sein Antlitz zur Erde und erwiderte:
    »Der Unsichtbare hat mir ein Zeichen gesandt, und mein Herz hat es verstanden. Ich erschlug meinen Bruder, auf daß ich nun wisse, daß jeder, der einen Menschen erschlägt, seinen Bruder tötet. Ich kann nicht Führer sein im Kriege, denn im Schwerte ist Gewalt, und Gewalt befeindet das Recht. Wer teilhat an der Sünde der Tötung, ist selbst ein Toter. Ich aber will, daß nicht Furcht ausgehe von mir, und lieber das Brot des Bettlers essen, denn unrecht tun wider dies Zeichen, das ich erkannte. Ein kurzes ist das Leben in der ewigen Verwandlung, laß mein Teil mich leben als ein Gerechter.«
    Des Königs Antlitz ward dunkel eine Weile, und solche Stille des Schreckens stand um ihn, wie vordem Fülle des Lärmes gewesen, denn noch nie ward es erhört in den Zeiten der Väter und Urväter, daß ein Freier des Königs sich gewehrt und ein Fürst ein Geschenk nicht nahm von seinem Könige. Dann aber blickte der Herrscher auf zu den heiligen Reihern, den Zeichen des Sieges, die jener erbeutet, und sein Antlitz erhellte sich von neuem, da er sagte:
    »Als tapfer habe ich dich von je erkannt wider meine Feinde, Virata, und als einen Gerechten vor allen Dienern meines Reiches. Muß ich dich missen im Kriege, so will ich dich nicht entbehren in meinem Dienste. Da du Schuld kennst und Schuld wägst als ein Gerechter, sollst du der oberste meiner Richter sein und Urteil sprechen auf der Treppe meines Palastes, damit die Wahrheit gewahrt sei in meinen Mauern und das Recht gehütet im Lande.«
    Virata neigte sich vor dem König und faßte sein Knie zum Zeichen des Dankes. Der König hieß ihn den Elefanten besteigen zu seiner Seite, und sie zogen ein in die sechzigtürmige Stadt, deren Jubel wider sie schlug wie ein stürmendes Meer.
    Von der Höhe der rosenfarbenen Treppe, im Schatten des Palastes sprach nun Virata im Namen des Königs Recht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Sein Wort aber war gleich einer Waage, die lange zittert, ehe sie eine Schwere mißt; klar ging sein Blick in die Seele des Schuldigen und seine Fragen drangen in die Tiefe der Verbrechen beharrlich hinab wie ein Dachs in das Dunkel der Erde. Strenge war sein Spruch, doch nie fällte er gleichen Tages das Urteil, immer legte er die kühle Spanne der Nacht zwischen Verhör und Bannung: die langen Stunden bis Sonnenaufgang hörten ihn die Seinen dann auf dem Dache des Hauses oft ruhelos schreiten, nachsinnend über Recht und Unrecht. Ehe er aber ein Urteil sprach, tauchte er die Hände und die Stirne in das Wasser, daß sein Spruch lauter sei von der Hitze der Leidenschaft. Und immer, da er ihn gesprochen, fragte er den Missetäter, ob sein Wort ihm Irrtum dünke; doch selten nur geschah es, daß einer dawider redete; stumm küßten sie die Schwelle seines Sitzes und nahmen gesenkten Hauptes die Strafe wie von Gottes Mund.
    Niemals aber sprach Viratas Mund Botschaft des Todes auch über den Schuldigsten und wehrte denen, die ihn mahnten. Denn er scheute das Blut. Den runden Brunnen der Urväter Rajputas, über dessen Rand der Henker die Häupter zum Hiebe beugte und dessen Steine schwarz waren von geronnenem Blute, wusch der Regen wieder weiß in den Jahren. Und doch ward im Lande des Unheils nicht mehr. Er verschloß die Missetäter in den felsenen Kerker oder tat sie in die Berge, wo sie Steine brechen mußten für die Mauern der Gärten, und in die Reismühlen am Flusse, wo sie die Räder mit den Elefanten drehten. Aber er ehrte das Leben, und die Menschen ehrten ihn, denn nie war ein Fehl ermessen an seinem Spruche, nie Lässigkeit in seiner Frage, nie Zorn in seinem Worte. Weit vom Lande kamen die Bauern im Wagen der Büffel mit ihrem Streit, daß er ihn schlichte, die Priester horchten seiner Rede und der König seinem Rat. Sein Ruhm wuchs, wie der junge Bambus wächst, aufrecht und hell in einer Nacht, und die Menschen vergaßen seines Namens von einst, da sie ihn als Blitz des Schwertes priesen, und nannten ihn weithin im Lande Rajputas die Quelle der Gerechtigkeit.
    Im sechsten Jahre nun, da Virata Recht sprach von der Stufe des Vorhofs, geschah es, daß Kläger einen Jüngling vom Stamme der Kazaren brachten, der Wilden, die

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