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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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schmerzender Seele neben ihnen kauerte und hören mußte, was mir galt und mir selbst zu fühlen versagt war! Sieben Stunden, sieben Ewigkeiten lag ich gebückt, den Atem verpreßt, und rang wider den eigenen Schrei, wie Jakob einst rang mit deinem Engel, und siebenzigmal dünkten sie mich länger, diese Stunden, als die sieben Jahre des Wartens. Und ich hätte sie nicht ertragen, diese Nacht meiner Langmut, hätte ich nicht immer wieder deinen heiligen Namen angerufen und mich gestärkt im Gedanken deiner unendlichen Geduld.
    Dies, Herr, war meine Tat, die einzige, deren ich mich rühme auf Erden, weil ich in ihr dir selber ähnlich ward in Langmut und Erbarmen – denn über aller Menschen Maß litt meine Seele Not, und ich weiß nicht, ob du jemals, Herr, ein Weib so hart versucht hast auf Erden denn mich in jener unseligen Nacht. Und doch, Herr, habe ich sie durchduldet, diese Nacht aller Nächte, und als die Hähne krähten, raffte ich mich auf mit ausgeschöpftem Leib, indes jene ruhten in großer Müdigkeit. Eilig flüchtete ich hin in meines Vaters Haus, denn bald mußte doch klärlich werden, was wir trügerisch getan, und die Kiefer bebten mir im Munde vor Jakobs Zorn. Und wehe, wie ich’s geahnet, so erfüllte sich’s. Kaum ruhte ich im Hause meines Vaters, so brüllte des Getrogenen Stimme her wie eines zornigen Stieres, und er stürmte heran, ein Schlagbeil in Händen, daß er Laban, meinen Vater, treffe. Meinem Vater Laban, dem alten, ihm lähmte Schrecken die Hände, da er den Wütigen hörte. Schauernd sank er zur Erde und rief deinen heiligen Namen. Und abermals, Herr, da ich deinen heiligsten Namen hörte, überkam mich jenes heiligen Mutes Kraft, und ich warf mich dem Stürmenden entgegen, damit sein Wüten über mich fahre an meines Vaters Statt. Jakobs Augen aber hitzte das Blut des Zornes, und kaum sah er mich, die ihn trügen geholfen, schlug er mit Fäusten in mein Antlitz, daß ich stürzte. Aber, Herr, ich duldete es ohne Klage, wußte ich doch, daß ein großes Lieben in seinem Zorne war. Und hätte er mich damals getötet – schon hob er rasend das Beil –, Herr, ich wäre nicht klagend getreten vor deinen ewigen Thron, denn um eines großen Leidens willen hatte ich ihn getrogen, und ich wußte, um einer großen Liebe willen wütete sein Zorn.
    Kaum daß der Wütige mich hingeschlagen zu seinen Füßen sah, blutend und verstörten Blicks – siehe, Herr, da kam auch über ihn das Erbarmen. Lahm fiel das Beil, das gehobene, aus seinen Händen, er beugte sich nieder und küßte mein Blut von der Lippe. Und nicht nur meiner erbarmte er sich, auch meinem Vater, Laban, verzieh er um meinetwillen und verstieß nicht Lea aus seinem Zelte. Mein Vater gab mich nach sieben Jahren als zweite Gattin ihm zu, und er weckte mir Kinder aus meinem Schoß – Kinder, die ich nährte mit der Milch meines Leibes und dem Worte deiner Verheißung. Kinder, die ich mahnte, in höchster Not kühnlich dich anzurufen mit dem Geheimnis deines unverstellten Namens. Und mit diesem deinem Namen des Allerbarmers, Herr, rufe ich dich heute aus meiner letztlichen Not: tue, wie jener getan, lasse sinken das Schlagbeil deines Ingrimms und verwehen die Wolke deines Zornes! Um Rahels Erbarmens willen erbarme dich noch einmal, Herr, übe Geduld für meine Geduld und spare deine heilige Stadt! Schone, Herr, meiner Kinder und Enkel, verschone Jeruscholajim!«
    Rahel hatte die Stimme aufgehoben, als müßte sie hundert Himmel durchfahren; so entsank nach dem flehenden Anruf ihrer Seele die Kraft. Sie brach in die Knie, das erschütterte Haupt beugte sich nieder zur Erde, und wie ein schwarzrinnend Wasser strömten die Strähnen ihres Haares über den zitternden Leib. – So kniete Rahel und lebte und wartete auf Gottes Antwort.
    Gott – aber – schwieg. Und nichts ist furchtbarer auf Erden und in den Himmeln und in den schwebenden Wolken zwischen ihnen denn Gottes Schweigen. Wenn Gott schweigt, dann endet die Zeit und vergehet das Licht, dann ist Tag von Nacht nicht mehr geschieden und in allen Welten nur mehr das Leere des Anbeginns. Was Regung hat, hört auf, sich zu regen, was fließt, stockt in dem Flusse, das Blühende kann nicht mehr blühen, das Meer nicht mehr strömen ohne sein innerlich Wort. Kein irdisches Ohr aber kann es tragen, das Dröhnen dieser Stille, kein irdisches Herz sich halten wider den Andrang dieses Leeren, darin nur Gott ist und er selbst der Lebendige nicht, solange er schweigt, das Leben alles

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