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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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nochmals das Haupt und ging.
    Aus der Helle trat er in sein Haus, rief Weib und Kinder zusammen: »Einen runden Mond lang werdet ihr mich nicht schauen. Nehmt Abschied von mir und fraget nicht.«
    Scheu blickte die Frau, fromm blickten die Söhne. Zu jedem beugte er sich und küßte ihn zwischen die Augen. »Nun geht in eure Räume, schließt euch ein, daß keiner mir nachsehe in meinen Rücken, wohin ich gehe, wenn ich aus der Türe trete. Und fraget nicht nach mir, ehe der Mond sich erneut.«
    Und sie wandten sich, jeder in Schweigen.
    Virata tat ab das festliche Kleid und tat ein dunkles an, betete vor den Bildnissen des tausendgestaltigen Gottes, ritzte in Palmblätter viele Schrift, die er rollte zu einem Brief. Mit dem Dunkel machte er sich dann auf aus seinem schweigenden Hause und ging zum Felsen vor der Stadt, wo die Erzgruben der Tiefe waren und die Gefängnisse. Er schlug an des Pförtners Tür, bis von der Matte der Schlafende aufstand und rief, wer ihn fordere: »Virata bin ich, der oberste der Richter. Ich bin gekommen, nach jenem zu sehen, den sie gestern brachten.«
    »In der Tiefe ist er verschlossen, Herr, im untersten Raume der Dunkelheit. Soll ich dich führen, Herr?«
    »Ich kenne den Raum. Gib mir den Schlüssel und lege dich zur Ruhe. Morgens wirst du den Schlüssel finden vor deiner Tür. Und schweige zu jedem, daß du mich heute gesehen.«
    Der Pförtner neigte sich, brachte den Schlüssel und eine Leuchte. Virata winkte ihm, stumm trat der Dienende zurück und warf sich auf die Matte. Er aber tat das kupferne Tor auf, das die Höhlung des Felsens verschloß, und stieg nieder in die Tiefe des Kerkers.
    Vor hundert Jahren schon hatten die Könige Rajputas in diese Felsen ihre Gefangenen zu verschließen begonnen, und jeder der Verschlossenen höhlte Tag für Tag tiefer den Berg hinab und schuf neue Gelasse in dem kalten Gestein für neue Knechte des Kerkers nach ihm.
    Einen Blick noch warf Virata, ehe er nun die Türe zutat, nach dem aufgetanen Viereck des Himmels mit den weißen, springenden Sternen, dann schloß er die Pforte, und Dunkel schwoll ihm feucht entgegen, über das unsicher der Schein seiner Leuchte sprang wie ein suchendes Tier. Noch hörte er das weiche Rauschen des Windes in den Bäumen und die gellen Schreie der Affen: in der ersten Tiefe war aber dies nur mehr ein leises Brausen von weit, in der zweiten Tiefe stand schon Stille wie unter dem Spiegel des Meeres, reglos und kalt. Von Steinen wehte nur Feuchte und nicht mehr Duft irdischer Erde, und je tiefer er stieg, desto härter hallte sein Schritt in dem Starren der Stille.
    Im fünften Gelaß, tiefer unter der Erde, als die höchsten Palmen aufgreifen zum Himmel, war des Gefangenen Zelle. Virata trat ein und hob die Leuchte wider den dunklen Klumpen, der kaum sich regte, bis Licht über ihn strich. Eine Kette klirrte.
    Virata beugte sich über ihn: »Erkennst du mich?«
    »Ich erkenne dich. Du bist der, den sie zum Herrn setzten über mein Schicksal und der es zertreten unter seinem Fuß.«
    »Ich bin keines Herr. Ein Diener bin ich des Königs und der Gerechtigkeit. Ich bin gekommen, ihr zu dienen.«
    Finster sah der Gefangene auf und starrte in des Richters Gesicht: »Was willst du von mir?«
    Virata schwieg lange, dann sagte er:
    »Ich habe dir wehe getan mit meinem Wort, aber auch du hast mir ein Weh getan mit deinen Worten. Ich weiß nicht, ob mein Spruch gerecht gewesen, aber eine Wahrheit war in deinem Wort: es darf keiner messen mit einem Maße, das er nicht kennt. Ein Unwissender war ich und will wissend werden. Hunderte habe ich gesandt in diese Nacht, vielen habe ich vieles getan und weiß nicht um meine Tat. Nun will ich es erfahren, will lernen, um gerecht zu sein und ohne Schuld einzugehen in die Verwandlung.«
    Der Gefangene starrte noch immer. Leise klirrte die Kette.
    »Ich will wissen, was ich dir zusprach, den Biß der Geißel will ich kennen am eigenen Leib und die gefesselte Zeit in meiner Seele. Für einen Mond will ich an deine Stelle treten, damit ich wisse, wieviel ich dir zugezählt an Sühne. Dann erneuere ich den Spruch von der Schwelle, wissend um seine Wucht und Schwere. Du gehe inzwischen frei. Ich will dir den Schlüssel geben, der dich ins Licht führt, und dir einen Mond lang dein Leben frei lassen, so du mir Wiederkehr gelobst – dann wird von dem Dunkel dieser Tiefe Licht sein in meinem Wissen.«
    Wie Stein stand der Gefangene. Die Kette klirrte nicht mehr.
    »Schwöre mir bei der

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