Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Zelt rastete mit den Heiligtümern, durften wir ruhen, wenn es wanderte, wanderten wir mit. Im Ruhen und im Schreiten, bei Tag und bei Nacht, tausend und tausend Jahre waren wir jüdisches Volk immer um dies Heilige geschart, und solange wir diesen Sinn für das Heilige wahren, solange bleiben wir in aller Fremde ein Volk.
Nun aber höre. Die Heiligtümer jener Lade waren ein Altar, auf den wir die Brote legten, die nährende Frucht aus dem Schoße der Erde, und waren die Gefäße, woraus Weihrauch sich wölkte, um Gott zu erreichen, und waren die Tafeln der Gebote, in denen Gott sich uns versprochen. Aber das Sichtbarste all dieser Geräte war ein Leuchter, dessen Licht ewig den Altar im heiligsten Räume erhellte. Denn Gott liebt das Licht, das er entzündet, und unser Dank für das Licht, das er unseren Augen, unseren Sinnen gegeben, hat diesen Leuchter geschaffen. Aus geläutertem Golde war er kunstvoll getrieben, siebenschaftig stiegen vom breiten Stamm seine Kelche empor und Kränze mit Blumen waren ziervoll ihm eingebosselt. Wenn die sieben Kerzen auf den sieben Knäufen angezündet waren, entbrannte in sieben Blüten das Licht, und in seinem Anblick heiligten wir unser Herz. Jedesmal, da es sich entflammt am Sabbat, wird unsere Seele zum Tempel der Andacht. Kein einzig Ding auf Erden darum ist uns so teuer als Zeichen wie dieses Leuchters Gestalt, und überall, wo ein Jude noch an das Heilige glaubt, in jedem Hause unter den vier Winden der Erde, hebt im Abbild noch eine solche Menorah ihre sieben Arme auf zum Gebet.«
»Warum sieben?« fragte zaghaft der Knabe. »Frage nur, frage, mein Kind! Aus Fragen wird Wissen. Eine sondere und hohe Zahl ist die Sieben unter den Zahlen, denn nach sieben Tagen hat Gott die Welt und den Menschen vollendet, und kein Wunder ist größer, als daß wir sind in dieser Welt und sie fühlen und lieben und ihren Schöpfer erkennen. Vermöge des Lichts hat Gott die Sinne gelehrt zu schauen und die Seele zu wissen: darum lobt mit seinen sieben Armen der Leuchter das Licht, das äußere und das innere. Denn auch ein inneres Licht hat Gott uns verliehen durch die Schrift, und wie dort durch Schauen, so wissen wir hier durch Erkennen. Was die Flamme den Sinnen, das ist der Seele die Schrift, in der alles geschrieben steht, die Taten Gottes und die Taten der Väter, das Maß jedes Tuns, das Erlaubte und Versagte, der schaffende Geist und das gestaltende Gesetz. Zweimal erschauen wir durch Gottes Gnade die Welt dank dem Licht, einmal von außen durch die Sinne und zum andern durch den Geist, und selbst sein eigenes Wesen können wir erfassen dank seiner Erleuchtung. Verstehst du mich, Kind?«
»Nein«, hauchte der Knabe.
»Dann bewahre nur dies – das andere wirst du später verstehen – bewahre nur dies, was ich dir sage: das Heiligste, das wir hatten als Zeichen auf unserer Wanderschaft, und das einzige, das uns verblieben aus den Tagen unseres Anbeginns, waren die Schrift und der Leuchter, die Thora und die Menorah.«
»Die Thora und die Menorah«, wiederholte ehrfürchtig der Knabe, und er krampfte die Hände zusammen, um fester die Worte zu behalten.
»Nun höre weiter! Es kam eine Zeit – fern ist sie schon –, da wir müde wurden des Wanderns. Denn der Mensch begehrt der Erde, wie die Erde seiner begehrt. Und da wir kamen nach Jahren und Jahren der Fremde in das Land, das uns Moses verheißen, nahmen wir es Rechtens zu eigen. Wir säeten und pflügten und zogen den Weinstock und zähmten die Tiere, wir schufen uns fruchtbare Felder und umzäunten und umhürdeten sie, beglückt, nicht ewig die Geduldeten und Verstoßenen der andern Völker und die ewigen Gäste der Fremde zu sein. Und schon meinten wir, zu Ende sei unsere Wanderung für alle Zeiten, schon wagten wir das verwegene Wort, unser sei diese Erde, als ob jemals Erde dem Menschen gehörte, dem alles nur leihweise gegeben. Aber immer vergißt er, daß Haben nicht Halten meint und Besitzen nicht Bewahren: wo er Erde fühlt unter den Füßen, da baut er sein Haus, und mit den Wurzeln der Bäume will er an der Scholle sich heften. So bauten auch wir zum erstenmal uns Häuser und Städte, und da jeder von uns Heimstatt hatte, wie sollte es da uns nicht dankbar gedrängt haben, daß wir auch Ihm, unserem Gott und Beschirmer, eine Heimstatt geben wollten in unserer Mitte, ein Haus, hoch und herrlich über allen Häusern, ein Gotteshaus. Und es erstand in jenen gesegneten Jahren des Rastens in unserem Lande ein König,
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