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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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der reich und weise war, Schelomo genannt…«
    »Gelobt sei sein Name«, unterbrach leise Abthalion. »Gelobt sei sein Name«, wiederholten die andern Greise im Schreiten.
    »… der baute ein Haus auf dem Berge Moria, wo einst Jakob, unser Ahne, schlummernd die Himmelsleiter im Traume gesehen und dann erwachend gesprochen: ›Ein heiliger Ort ist dies, und heilig wird er sein allen Völkern der Erde.‹ Dort baute Schelomo unser Gotteshaus, und herrlich war es gefertigt aus Stein und Zedernholz und getriebenen Erzen. Und wenn sie aufschauten, unsere Väter, zu seinen Mauern, so ward ihr Herz sicher, als wolle Gott ewig wohnen in unserer Mitte und unser Schicksal befrieden auf ewige Zeit. Wie wir heimatlich ruhten, so rastete im heiligen Raum das Zelt und in dem Zelt der lang getragene Schrein. Tag und Nacht hob die Menorah ihre sieben Flammen vor dem Altar, alles, was uns heilig war, ruhte geborgen im Heiligsten des Herrn, ob auch unsichtbar, wie er ewig war und ewig sein wird, so weilte doch Gott friedvoll im Land unserer Ahnen, im Tempel von Jeruscholajim.«
    »Möge mein Auge ihn wieder erschauen«, murmelten die schreitenden Männer wie im Gebet.
    »Aber höre weiter, mein Kind. Alles, was der Mensch hat, ist ihm nur zu Borg gelassen, und seine Glückszeit läuft auf rollendem Rad. Nicht ewig, wie wir meinten, war unser Frieden, denn von Osten kam ein wildes Volk und brach in unsere Stadt, so wie die Räuber, die du gesehen, jetzt einbrachen in diese Stadt unserer Fremde. Was greifbar war, das griffen sie, was tragbar war, das trugen sie fort, was zerstörbar war, zerstörten sie: nur das Unsichtbare konnten sie uns nicht nehmen, Gottes Wort und Gegenwart. Aber die Menorah, den heiligen Leuchter, rissen sie von dem Tische und schleppten ihn fort, nicht weil er heilig war – denn dies erfaßten die Knechte des Bösen nicht –, sondern weil er Gold war, und immer lieben die Räuber das Gold. Und mit dem Volke selbst schleppten sie Leuchter und Altar und alle die Gefäße mit sich fort nach Babel…«
    »Babel?« unterbrach schüchtern der Knabe.
    »Frage nur, frage, mein Kind, und möge Gott dir immer Antwort gewähren. Babel hieß jene Stadt, groß und mächtig wie diese, in der wir jetzt wohnen, und so fern war sie von unserer Heimat, daß anders die Sterne dort ob unseren Häuptern standen. Und damit du errechnest, wie weit unsere heiligen Geräte damals wanderten, so zähle selber mit: denn siehe, drei Stunden sind wir nur gewandert, und schon ist Schmerz in unseren Gliedern und Müdigkeit. Babel aber war dreimal tausend Stunden weit und weiter. Nun vielleicht faßt du, wie weit sie damals den Leuchter geraubt. Aber dies auch merke dir: vor Gottes Willen gilt keine Ferne. Und als er sah, daß sein Wort uns heilig geblieben in der Verbannung – und vielleicht ist dies der Sinn unseres ewigen Gejagtseins über die Erde, daß das Heilige uns nur noch heiliger wird durch die Ferne und unser Herz immer demütiger am Übermaß der Not –, als Gott, sagte ich, sah, daß wir die Prüfung bestanden, da weckte er einem König jenes fremden Volkes das Herz. Der erkannte sein Unrecht und ließ unsere Väter heimkehren in das gelobte Land und gab ihnen den Leuchter des heiligen Hauses und die Geräte zurück. So kamen unsere Väter wieder von Chaldäa heim nach Jeruscholajim durch Wüsten, Berge und Dickicht. Von den Enden der Erde kehrten sie wieder mit dem lebendigen Leibe an die Stätte, wo wir immer waren und sein werden mit unseren Gedanken. Abermals bauten wir den Tempel auf dem Berge Moria, abermals leuchtete siebenflammig der heimgekehrte Leuchter vor Gottes Altar, und unsere Herzen leuchteten mit. Dies aber merke dir wohl, damit du begreifst den Sinn unseres heutigen Wanderns: kein Werk dieser Welt ist so heilig, so alt und so weit gewandert durch die Zeit und über die Erde wie dieser siebenarmige Leuchter, und von allem, was wir haben und hatten an Zeichen unserer Einheit und Reinheit, ist er das kostbarste Unterpfand. Und immer verdunkelt sich unser Schicksal, erlischt und verliert sich sein Licht.«
    Rabbi Elieser unterbrach. Seine Stimme schien erschöpft. Heftig erhob der Knabe das Haupt, und sein Auge ward selbst wie eine kleine heiße Flamme begehrlicher Sorge, das Erzählen könnte schon zu Ende sein. Lächelnd bemerkte Rabbi Elieser des Kindes Ungeduld. Sanft strich er ihm über das Haar und sagte beruhigend:
    »Wie deine Augen brennen von innen her, Kind! Aber fürchte dich nicht: nie ist unser

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