Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Schicksal zu Ende, und erzählte ich dir auch Jahre und Jahre, du wüßtest kaum den tausendsten Teil des Wegs, der uns zu gehen bestimmt ist. Doch höre jetzt, da du gut hörst und gern hörst, wie es war und wie es kam in unserer Heimat! Abermals dachten wir, für ewige Zeit sei der Tempel gegründet. Doch neuerdings kamen Feinde über das Meer; aus diesem Lande, wo wir jetzt als Fremdlinge wohnen, kamen sie gezogen, und sie führte ein Kaiser, ein Krieger, Titus genannt…«
    »Sein Name sei verflucht«, murmelten die Männer im Schreiten.
    »… und er zerbrach unsere Mauern, er zerstieß unseren Tempel. Mit frechem Fuß trat der Frevler ins Allerheiligste und riß den Leuchter von dem Altar. Was Schelomo herrlich geschaffen, Gott zum Lobe, das raubte seine Rache, und in Fesseln führte er unseren König mit sich und im Triumph die heiligen Geräte. Prahlerisch jubelte das törichte Volk, da er einzog im Siege, als hätten seine Krieger Gott besiegt und schleppten ihn mit sich in Ketten. Und so herrlich schien dem Verworfenen sein Frevel, so köstlich unsere Erniedrigung, daß er eitel eine große Pforte sich bauen ließ zum Gedächtnis und marmorn einmauern im künstlichen Gebilde seinen Raub an Gott.«
    Das Kind hob die lauschende Stirne. »Ist es jener Bogen mit den vielen steinernen Menschen? Vor dem ganz großen Platz jenes wölbige Tor, von dem der Vater mich mahnte, ich dürfe es niemals durchschreiten?«
    »Dasselbe, mein Kind. Geh immer daran vorbei und blicke diese Tür des Triumphes nicht an, denn sie erinnert an unseren schmerzlichsten Tag. Kein Jude darf diesen Bogen durchschreiten, der im Bilde zeigt, wie sie höhnten, was uns heilig war und immer sein wird. Gedenke jedesmal…«
    Der alte Mann brach ab, mitten im Wort. Denn von rückwärts hatte Hyrkanos ben Hillel ihn jählings angesprungen und die Hand ihm auf die Lippe gelegt. Alle erschraken unmäßig über seine Kühnheit. Aber schweigend deutete Hyrkanos ben Hillel jetzt nach vorn auf die Straße. Undeutlich unterschied man dort etwas im unsicheren Glast des vernebelten Monds. Ein Dunkles kroch langsam die weiße Straße entlang wie eine wandernde Raupe, und jetzt, da die Greise atemlos standen, hörte man von dort durch die Stille schwer belastete Wagen knarren. Über diesem dunklen Zug aber, der mühsam vorwärts kroch, blitzte etwas hell wie kleine Halme im Morgentau: es waren die Lanzen der numidischen Nachhut, welche die Beutekarren bewachte.
    Aber schon mußten die scharfäugigen Wächter jenes Beutezuges die Nachkommenden erspäht haben, denn sofort wendeten sie die Pferde und schon jagte ein Trupp heran, eingelegt die Lanzen und mit schrillem Schrei. Aufrecht standen die numidischen Krieger in ihren Bügeln, und die Burnusse flatterten weiß, als wären die Rosse beschwingt. Unwillkürlich scharten sich die elf Greise zusammen und nahmen das Kind in die Mitte. In einem Stoß, grell schreiend und wild stoben die Reiter jetzt heran: knapp ein paar Zoll nur vor den Erschrockenen rissen sie, um diese unbekannten Nachzügler von nah zu mustern, scharf ihre Pferde an, daß sie sich bäumten. Aber als sie im ungewissen Lichte des schon verdämmernden Monds erkannten, daß dies keineswegs Krieger waren, die nachsetzten, um ihnen die Beute streitig zu machen, sondern nur Greise, die da friedfertig hingingen durch die Nacht, weißbärtig und gebrestig, jeder ein kleines Bündel und einen Stecken in der Hand, so wie auch in ihrem Lande die Frommen zu pilgern pflegten von Ort zu Ort, da lachten sie zutraulich den alten Männern zu, und die Zähne blitzten weiß aus ihren wilden und dunklen Gesichtern. Dann pfiff einer von ihnen hell und schnell; neuerdings warfen sie die Pferde herum, flügelhaft und leicht wie eine Vogelschar zu ihrer Beute zurückstiebend, indes die Greise noch reglos standen von dem Blitz ihres Erschreckens und nicht deutlich zu begreifen wagten, daß sie geschont und gerettet waren.
    Rabbi Elieser, der Reine und Klare, war der erste, der sich ermannte. Zärtlich klopfte er dem Knaben die Wange.
    »Ein Tapferer bist du«, sagte er, zu ihm sich niederbeugend. »Ich habe deine Hand gehalten, und sie hat nicht gebebt. Soll ich dir nun weitererzählen? Denn noch immer weißt du nicht, wohin wir gehen und weshalb wir wach sind in dieser Nacht.«
    »Erzähle!« hauchte mit leiser Bitte der Knabe.
    »Ich sagte dir, du entsinnst dich, daß Titus, der Verfluchte, unsere Heiligtümer nach Rom schleppte und sie in eitler Schaulust

Weitere Kostenlose Bücher