Stefan Zweig - Gesammelte Werke
führte durch die ganze Stadt. Nach jenem Tage aber bargen die Kaiser Roms unsere Menorah mit den andern Heiligtümern Schelomos in einem Hause, das sie Tempel des Friedens benannten; törichtes Wort, als ob der Friede jemals Dauer hätte und Heimstatt auf unserer streitvollen Erde. Aber Gott duldete nicht, daß in fremdem Tempel bleiben sollte, was Schmuck seines eigenen zu Zion gewesen; so sandte er nächtens ein Feuer, und das Feuer verbrannte jenes Haus mit Dach und Bildern und Habe: nur unser Leuchter ward gerettet vor den fressenden Flammen, und sichtbar ward es abermals, daß nicht Feuer und Ferne und nicht der Menschen räuberische Hand über ihn vermögen. Ein warnend Zeichen war es von Gott, daß sie wiedergeben sollten das Heilige an seinen heiligen Ort und die Geräte an die Stätte, die sie ehrte nicht um des Goldes, sondern einzig um ihrer Heiligung willen. Aber wann verstehen die Toren ein Zeichen, wann beugt sich gefügig des Menschen stockiges Herz dem Verstand?«
Rabbi Elieser seufzte, dann sprach er weiter:
»So nahmen sie unser heilig Gerät und bargen es abermals in einem andern Hause des Kaisers, und weil es in verschlossener Kammer dort geduldend Jahre und Jahrzehnte lag, meinten sie abermals, nun sei es ihnen geborgen für alle Ewigkeit. Jedoch hinter einem Räuber hetzt immer der andere, was einer gewalttätig genommen, nimmt ihm abermals Gewalt. Wie Rom über Jeruscholajim, so ist Karthago über Rom hergefallen. Wie sie uns beraubten, so hat man sie nun beraubt, wie unser Heiligstes ihr Heiligstes geschändet. Aber auch unser Eigen, unsere Menorah, unser Gottesgerät haben jene Räuber genommen, und diese Karren dort im Dunkel, sie schleppen fort, was das Teuerste unseren Herzen ist. Morgen laden sie den Leuchter auf ein Schiff, ihn in die Fremde zu führen, unerreichbar unserem sehnenden Blick; nie wird uns Alten dieser Leuchter mehr leuchten! Und so wie man die Leiche eines geliebten Menschen zu Grabe geleitet, damit man seine Liebe bezeuge durch dies Gehen und Mitihmgehen auf seinem letzten Wege, so begleiten wir heute die Menorah auf ihrem Fortgang in die Fremde. Es ist das Heiligste, das wir verlieren: verstehst du nun die Trauer unseres schmerzlichen Gangs?«
Das Kind schritt gebeugten Hauptes und schwieg. Es schien nachzudenken.
»Dies aber behalte: als Zeugen haben wir dich mitgenommen, damit du einst, wenn wir selber zu Erde geworden, bezeugest, daß wir die Treue gehalten dem Heiligen, und daß du lehrest die andern, sie weiter zu halten. Daß du sie glauben hilfst unsern Glauben, immer werde er wiederkehren, der Leuchter, von seinem Wandern im Dunkel, und einstens mit sieben Flammen wieder glorreich erhellen den Altar des Herrn. Wir haben dich aufgeweckt, daß dein Herz wach werde und du einst diese Nacht den Späteren kündest. Besinne dich und künde den andern zur Tröstung, daß du noch eigenen Auges den Leuchter gesehen, der durch tausend Jahre gewandert, unversehrt wie unser Volk in der Fremde, und von dem ich felsenfest glaube, daß er nicht untergeht, solange wir nicht untergehen.«
Das Kind schwieg noch immer. Und Rabbi Elieser, der Reine und Klare, spürte einen Widerstand in des Knaben starrem Schweigen. So beugte er sich nieder und fragte: »Hast du mich verstanden?«
Des Knaben Nacken blieb hart. »Nein«, sagte er bockig. »Ich verstehe es nicht. Denn wenn… wenn er uns so teuer ist und so heilig, der Leuchter… warum lassen wir ihn uns nehmen?«
Der alte Mann seufzte. »Richtig fragst du, mein Kind. Warum lassen wir ihn uns nehmen? Warum wehren wir uns nicht? Aber später erst wirst du begreifen, daß auf dieser Welt das Recht zu den Starken hält und nicht zu den Gerechten. Immer erzwingt Gewalt ihren Willen auf Erden, und Frommsein hat keine irdische Macht. Nur Unrecht zu dulden haben wir von Gott gelernt und nicht unser Recht mit der Faust zu erzwingen.«
Rabbi Elieser sagte gebeugten Haupts diese Worte im Weiterschreiten. Aber plötzlich löste heftig der Knabe die Hand aus der seinen und blieb stehen. Gerade und fast herrisch fragte das glühende Kind den alten Mann:
»Aber Gott? Warum duldet er diesen Raub? Warum hilft er uns nicht? Du hast doch gesagt, daß er der Gerechte sei und der Allmächtige? Warum hält er zu den Räubern und nicht zu den Gerechten?«
Alle erschraken. Alle blieben stehen, und das Herz stand ihnen gleichzeitig stille im Leibe. Wie eine scharfe Fanfare war die unbändige Frage des Kindes ins Leere der Nacht gefahren, als
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