Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Hände im Danke geküßt, aber zu groß war seine Scheu, leer und ohne Laut bebte ihm die heiße Lippe. Doch Rabbi Elieser, der ein Leben lang viele Bücher durchforschte, wußte auch im Dunkel des Schweigens die Schriftzeichen des Herzens zu lesen. Er fühlte, daß der Knabe vor Ungeduld bebte, zu wissen, was mit ihm geschah und wohin sie gingen. Linde zog er des Kindes Hand näher an sich, wie ein Schmetterling leicht und zittrig ruhte sie in der kühlen des Greises.
»Ich will dir sagen, wohin wir gehen, und nichts sei dir verschwiegen. Denn kein Unrechtes ist, was wir tun, und wenn es auch ein heimlicher Weg ist vor den andern, den heute wir wandern, Gott sieht doch nieder auf ihn und kennt unsere Gedanken. Er weiß, was wir beginnen, doch nur er allein weiß, wie es endet.«
Indes Rabbi Elieser redete zu dem Kinde, hielt er nicht inne im Schreiten und ebensowenig die andern. Nur näher drängten sie jetzt an die beiden heran, um mitzulauschen, was der Weise erzählte dem Kinde, dem unbelehrten.
»Ein alter Weg ist es, den wir gehen, mein Kind, schon unsere Väter und Vorväter sind ihn gegangen. Denn ein Wandervolk sind wir gewesen unendlich viele Jahre lang und sind es wieder geworden, und vielleicht sogar, wer weiß es, ist es unser Geschick, daß wir es bleiben für ewige Zeit. Nicht wie die andern Völker haben wir Erde unter unserem Schlafe zu eigen, nicht wächst uns im eigenen Felde Samen und Frucht. Nur mit wandernden Füßen gehen wir über die Länder, und in fremde Scholle sind unsere Gräber getan. Aber zerstreut, wie wir sein mögen, und zwischen die Furchen geworfen wie Unkraut von Morgen bis Mitternacht dieser Erde, sind wir doch Volk geblieben, ein einziges und einsames unter den Völkern, durch unseren Gott und den Glauben an ihn. Ein Unsichtbares ist es, das uns bindet, ein Unsichtbares, das uns hält und zusammenhält, und dies Unsichtbare ist unser Gott. Ich weiß, schwer wird es sein für dich, Kind, dies zu fassen, denn nur das Sichtbare erfaßt sich leicht mit den Sinnen, nur das Fleischliche läßt sich nehmen und greifen wie Erde und Holz und Stein oder Erz. Und deshalb haben die andern Völker sich auch ihren Gott geschaffen aus Sichtlichkeiten, aus Hölzern und Steinen und getriebenem Erz. Wir aber, wir einen und einzigen, hängen am Unsichtbaren und suchen einen Sinn über unserem Sinn. Alle unsere Mühsal entstammt dem Drange, daß wir uns nicht an das Faßbare halten, sondern Sucher gewesen sind und ewig bleiben des Unsichtbaren. Aber stärker ist, wer sich dem Unsichtbaren bindet, als wer am Greifbaren hängt, denn vergänglich ist dieses, und jenes besteht. Und stärker ist der Geist auf die Dauer denn die Gewalt. Darum und nur darum, Kind, haben wir die Zeit überdauert, weil dem Zeitlosen verschworen, und nur weil wir Gott, dem Unsichtbaren, die Treue hielten, hat er uns sie gehalten. – Ich weiß, schwer wird es sein für dich, einen Knaben, dies zu fassen, denn wir selbst oft in unserer Not fassen es nicht, daß Gott und die Gerechtigkeit, an die wir glauben, nicht sichtbar werden in diesen unseren Welten. Aber auch, wenn du mich jetzt nicht verstehst, so verwirre dich nicht und höre weiter, mein Knabe.«
»Ich höre«, atmete scheu und verzückt das Kind.
»Mit diesem Glauben an das Unsichtbare gingen unsere Väter und Vorväter durch die Welt, und um sich selbst zu bezeugen, daß sie einzig glaubten an diesen unsichtbaren Gott, der sich nie enthüllt und den kein Bildnis je erfüllt, schufen unsere Ahnen sich ein Zeichen. Denn unser Sinn ist eng und kann das Unendliche nicht fassen: nur ein Schatten des Göttlichen fällt manchmal nieder in unser Leben und bloß ein kleines Licht davon in unseren irdischen Tag. Aber damit unser Herz niemals seiner Pflicht sich entfremde, dem Unsichtbaren zu dienen, der die Gerechtigkeit ist, die Dauer und die Gnade, schufen wir uns Geräte zum Dienst, die ständig Wachsamkeit forderten, einen Leuchter, genannt die Menorah, daran ewig die Kerzen brannten, einen Altar, darin immer erneut die Brote lagen zur Schau. Nicht Abbilder des göttlichen Wesens – behalte dies wohl –, wie die andern Völker sie frevlerisch schufen, waren diese Geräte, die wir heilige nennen, sondern nur Zeugnisse unserer ewig wachsamen Gläubigkeit, und wo wir wanderten durch die Welt, da wanderten sie mit. Eingetan in eine Lade, bargen wir sie in einem Zelte, und dieses Zelt trugen unsere Väter, heimatlos wie wir selber, auf ihren Schultern dahin. Wenn das
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