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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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einmal aus deinem eigenen Herzen.«
    Der alte Mann schwieg, und es schwiegen die andern. Still standen sie alle am Wege, und schweigend umhüllte sie die Nacht, und allen war, als stünden sie allein im Dunkel der Welt, jenseits der Zeit.
    Plötzlich schauerte einer auf und hob die Hand. Ein Ängsten war über ihn gefahren, und er mahnte die andern, zu lauschen. Und wirklich, etwas lief durch die Stille und kam rauschend heran. Erst war es bloß, als ob irgendwer flüchtig eine Harfe rührte, ein dunkler, schwellender Ton, aber schon schwang es stärker heran wie Wind oder Meer aus dem Finstern, und mit einemmal brach in die Schwüle ein mächtiger Stoß gewittrigen Sturms, kurz und plötzlich, daß die erschreckten Bäume am Wege aufgriffen mit ihren Armen, als wollten sie sich halten im Leeren, und die Büsche wirr flüsterten und Staub von der Straße fuhr. Es war, als schwankten mit einemmal die Sterne, und die Greise, erregt, wie sie waren vom Gespräch über ihr Schicksal und Gottes Nähe gewärtig, bebten, ob nicht plötzlich ihnen Antwort werden sollte, denn geschrieben stand in der Schrift von Gott, daß er nahe im Sturmwind und seine Stimme zu sprechen anhebe in sanftem Säuseln. Jeder senkte die Stirne zur Erde, jeder horchte gleichzeitig nach oben, und unbewußt faßten sie einer des andern Hand, um gemeinsam wider das Wunderbare sich zu halten, und einer spürte des andern Puls wie einen kleinen heftigen Hammer in seiner Faust.
    Aber nichts geschah. Plötzlich, wie er gekommen, setzte der Sturmwind aus, und mählich erlosch das Flüstern im Grase. Nichts geschah. Keine Stimme sprach, kein Ton erlöste die erschrockene Stille. Und als sie einer nach dem andern die verängsteten Augen wieder erhoben von der Erde, gewahrten sie, daß im Osten über dem Dunkel ein erster Schimmer begann, opalen und zart. Da erkannten sie, daß dies nur der Wind gewesen, der immer anhebt, ehe der Tag beginnt; nur das tägliche Wunder war geschehen, daß es Morgen ward wie nach jeder irdischen Nacht. Stärker erhellte, indes sie noch unruhig standen, sich die rötliche Ferne, und schon rang in blassem Umriß das Land sich aus den Schleiern. Nun wußten sie: die Nacht war zu Ende, die Nacht ihrer Wanderung. »Es morgent«, murmelte leise und enttäuscht Abthalion, »sprechen wir das Gebet!«
    Die elf Greise traten zusammen. Abseits stehen blieb das Kind, als Unmündiges noch nicht kund des Gebets, und blickte erregten Herzens zu. Die Alten holten aus ihren Bündeln die Gebetsmäntel und legten sie um Schultern und Häupter. Die Riemen banden sie um die Stirn und die Hand, die linke, die nahe dem Herzen liegt. Dann wandten sie sich gegen Osten, wo sie Jeruscholajim wußten, und sprachen den Dank an Gott, der die Welt geschaffen, und rühmten ihn mit den achtzehn Segenssprüchen seiner Vollendung. Leise sangen und murmelten sie, den Körper vor- und rückwärts schwingend im Ryhthmus der Rede. Der Knabe konnte die Worte nicht alle verstehen, aber die Inbrunst sah er, mit der die elf Greise sich wiegten in dem bewegten Gesange wie vordem die Sträucher in Gottes Wind. Nach dem feierlich erhobenen »Amen!« beugten sie sich alle, dann falteten sie die Gebetmäntel wieder ein und rüsteten neuerdings zum Wege. Älter schienen sie nun, die Alten, im mählich erwachenden Licht, schärfer zeichneten sich die Furchen ihrer Stirn und dunkler die Schatten um Augen und Mund: als ob sie kämen von ihrem eigenen Tode, müde und mühsam schleppten sie sich weiter mit dem Kinde, den letzten, den schmerzlichsten Rest ihres Wegs.
    Hell und heiß brannte der italische Morgen, als die elf Greise mit dem Kinde zu dem Hafen von Portus gelangten, wo der Tiber seine gelbe Flut matt und lustlos ins Meer ebben läßt. Sehr wenige Schiffe der Vandalen warteten noch an der Reede, eines nach dem andern stieß schon ab, den Mast sieghaft bewimpelt und den breiten Bauch mit Beute beschwert; schließlich lag bloß ein einziges mehr vor Anker am Ufer und fraß gierig aus den überfüllten Karren das Letzte des römischen Raubes. Ein Wagen hinter dem andern rollte zur Leerung gehorsam heran, und jedesmal trugen über eine bretterne Lauftreppe die Sklaven auf ihren braunen Schultern oder hochgestemmt auf dem Haupt die schweren Lasten zu dem Schiffe empor, Kisten und Truhen mit Gold und runde Amphoren mit Wein. Aber sosehr sie sich auch sputen mochten, dem ungeduldigen Herrn des Schiffes war ihr Dienst nicht schleunig genug, und so trieben mit Peitschen die

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