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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Aufseher der Vandalen die Sklaven zu immer rascherem Gang. Nun hielt der letzte Karren vor dem Schiff; es war jener, dem die elf Greise mit dem Kinde nachgewandert waren die lange Nacht und der den Leuchter des Tempels enthielt. Noch war seine Last mit Stroh und Tüchern überdeckt, aber brennenden Blicks starrten die Greise auf den gehäuften Karren hin und bebten vor der Enthüllung. Jetzt war der Augenblick der Entscheidung, jetzt oder nie mußte das Wunder geschehen.
    Der Knabe aber blickte nicht hin mit ihnen. Wie verzaubert starrte er auf das Meer, das er erstmalens erschaute. Da war es, blauer unendlicher Spiegel, strahlend gewölbt, bis zu dem scharfen Strich, wo die Flut den Himmel berührte, und noch weiter schien ihm dieser riesige Raum als die Kuppel der Nacht, da er zum ersten Mal das volle Rund der Sterne im ausgewölbten Himmel gesehn. Gebannt beobachtete er, wie die Wellen mitsammen spielten, wie sie einander jagten und stießen, wie eine über den Rücken der andern sprang und dann in einem leisen, glucksenden Lachen des Übermuts schäumend entflüchtete, um neu und neu sich zu formen, und er ahnte eine Heiterkeit in diesem seligen Spiel, wie er sie nie zu träumen gewagt im rostigen Schatten seiner engen Abseits- und Armengasse. Gewaltsam spannte sich seine magere Kinderbrust und sehnte sich, weit zu werden, stark und groß, um Luft und Welt in sich zu trinken und den Atem dieser Freudigkeit einzufühlen bis tief in sein jüdisch verschüchtertes Blut. Unwiderstehlich lüstete es das entzückte Kind, vorzutreten bis hart an das Nasse heran und die Arme zu dehnen, die kleinen, um zumindest einen ahnenden Atemzug dieser Unendlichkeit an den eigenen Leib zu drängen, und aufgehoben von innen her, fühlte er sich im Anschaun dieses Schönen und Hellen wie noch niemals beglückt; ach, wie unbefangen war hier alles, wie frei und ohne Angst! Als weiße Geschosse fuhren die Möwen herab und wieder auf, weich und seidig blähten die schönen Schiffe ihre Segel im Wind. Und plötzlich; als der Knabe geschlossenen Auges das kleine Haupt zurücklehnte, um tiefer die salzig kühle Luft in sich einzutrinken, fiel es ihm ein, das erste Wort, das er gelernt: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und zum erstenmal ward ihm der Name Gottes, den gestern die Väter, die Greise gesprochen, erfüllt von Sinn und Gestalt.
    Ein Schrei schreckte ihn auf. Die elf Greise, sie hatten jetzt alle geschrien wie aus einem Mund, und sofort flüchtete er zu ihnen hin. Eben hatte man die Tücher abgerissen von dem letzten Karren, und als die berberischen Sklaven sich bückten, um eine silberne Statue der Hera – mehrere Zentner war sie schwer – hervorzuschleppen, da stieß mit dem Fuß einer von ihnen den Leuchter beiseite, der ihm im Wege lag, und hart schlug und überschlug sich die Menorah und rollte vom Wagen herab auf die Erde. Ein Aufschrei des Schreckens, ein einziger, zerriß den alten Männern die Brust, da sie sahen, wie das Wahrzeichen, das heilige, das Moses erschaut, das Aaron gesegnet, das am Tische des Herrn gestanden in Schelomos Haus, nun kläglich sielte im Kot der Gespanne, mit Schmutz und Staub geschändet. Die Negersklaven staunten neugierig empor bei dem jähen Schrei. Sie verstanden nicht, warum diese törichten Weißbärte so grell aufschrien und sich an den Armen faßten, einer den andern, eine zuckende Kette von Schmerz: man hatte ihnen doch nichts Böses getan. Aber schon klatschte die Peitsche des Aufsehers auf ihr nacktes Fleisch, und knechtlich gruben sie abermals ihre Arme in das Stroh des Karrens, nun eine Stele hervorholend, nackt in Porphyr schimmernd, und dann abermals eine mächtige Statue, die sie, ein Seil am Halse und eines an den Füßen, wie etwas Geschlachtetes die Lauftreppe zu Bord hinaufschleppten. Rasch und rascher leerte sich jetzt die Tiefe des Wagens. Nur der Leuchter, der ewige, lag noch achtlos zu Füßen des Karrens, halb verdeckt von dem Rad. Und die Greise, die einander hielten, bebten in einhelliger Hoffnung: vielleicht, daß die Räuber in ihrer Hast den Leuchter vergessen würden! Vielleicht, daß sie ihn übersahen! Vielleicht, daß jetzt noch im letzten Augenblicke das Wunder der Rettung geschah!
    Aber da bemerkte einer der Sklaven den Leuchter, bückte sich, nahm ihn und türmte ihn auf die Schultern. Blank glühte der hochgehobene in der Sonne, er flammte und flimmerte, und es war, als erhelle er noch heller den Tag: zum erstenmal in ihrem Leben sahen die Greise

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