Stefan Zweig - Gesammelte Werke
verlassenes Blau. Dahin jede Hoffnung! Abermals wanderte der Leuchter in Fremde und Ferne, ewig rastlos, ewig verloren!
Nun erst, die Augen rückwendend vom Meere, besannen sie sich des Knaben, der stöhnend mit seinem zerschmetterten Arm auf der Stelle lag, wo der Leuchter im Sturz ihn hingeschlagen. Sie hoben den Blutenden auf und legten ihn auf eine Trage. Alle schämten sie sich tief, daß dieser Knabe kindisch getan, was keiner der Männer zu tun gewagt, und Abthalion fürchtete sich vor den Frauen, weil er den Enkel als Krüppel heimbrachte zu Mutter und Tochter. Nur Rabbi Elieser, der Reine und Klare, tröstete sie. »Nicht klagt und beklagt ihn. Erinnert euch der Schrift, wie Gott den Mann zu Tode schlug, der mit der Hand die Lade rührte, um sie zu stürzen, denn Gott will nicht, daß man an das Heilige rühre mit fleischlichen Händen. Dieses Kind aber hat er geschont und nur den Arm ihm geschlagen. Vielleicht ist ein Segen in diesem Schmerz und eine Berufung.«
Zärtlich beugte er sich dann über den stöhnenden Knaben: »Nicht wehre deinem Schmerz, sondern nimm ihn in dich. Auch dieser Schmerz ist ein Erbe. Denn nur im Leiden erlebt sich unser Volk, nur aus Not wird ihm schaffende Kraft. Ein Großes ist dir geschehen, denn Heiliges hast du berührt, und nur dein Leib ward versehrt, nicht dein Leben. Vielleicht bist du durch diesen Schmerz erlesen und ein Sinn ist verborgen in deinem Schicksal.«
Der Knabe blickte zu ihm auf, gläubig und stark. Mächtiger war der Stolz, daß der Weise ihn ehrte, als der brennende Schmerz. Und nicht ein einzig Stöhnen kam mehr von seiner Lippe, während sie ihn heimbrachten, zerbrochenen Arms, in das väterliche Haus.
Unruhig gingen seit jener vandalischen Nacht im Römischen Reiche die Jahre, und es geschah mehr in einer einzigen Lebenszeit, als sonst in sieben Menschenaltern geschieht. Ein anderer Kaiser ward Herrscher in Rom und wieder ein anderer und wieder ein anderer, der eine hieß Avilius, die nächsten Maioranus und Libius Severus und Anthemius. Einer mordete oder verjagte den andern, abermals brachen germanische Völker ein in die Stadt und plünderten sie. Abermals wurden (und noch immer war es die Lebenszeit eines einzigen Geschlechts) andere Kaiser eingesetzt und wieder abgesetzt und schließlich die letzten Roms, Licerius und Julius Nepos und Romulus Augustulus, bis dann Odoaker und Theoderich, harte nordische Krieger, die Herrschaft nahmen. Aber auch dieses gotische Reich, von dem seine Könige meinten, es werde, in Zucht gehärtet und in Eisen gegürtet, Geschlechter überdauern, auch dieses sank und verkam im Lauf dieses einen Geschlechtes, indes im Norden Völker wanderten und sich scharten und jenseits des Meers zu Byzanz ein anderes Rom sich erhob; es war, als sollte seit jener Nacht, da die Menorah durch die Porta Portuensis entwandert, kein Friede mehr sein und keine Rast in der tausendjährigen Tiberstadt.
Alle die elf Greise aber, die den Leuchter auf jener seiner letzten Wanderung begleitet, hatte längst der Tod an sich genommen, und begraben waren ihre Kinder schon, und die Enkel zu Greisen geworden – immer aber lebte dieser eine noch, Benjamin, der Enkel Abthalions, der Zeuge jener vandalischen Nacht. Aus dem Kinde von einst war ein Jüngling geworden, aus dem Jüngling ein Mann, aus dem Manne ein Greis. Sieben seiner Söhne waren ihm vorausgestorben und seiner Kindeskinder schon eines erschlagen, als der Pöbel unter Theoderich die Synagoge verbrannte. Er aber, zertrümmerten Arms, lebte noch immer; wie im Walde der Sturm die Bäume hinfegt zur Rechten und zur Linken, einer aber, der mächtigste, bleibt und ragt allein, so überdauerte dieser Uralte die Zeit und sah Kaiser sterben und Reiche sinken; ihn allein nur mied ehrfürchtig der Tod, und sein Name war groß und fast heilig unter den Juden der Erde. Benjamin Marnefesch nannten sie ihn um seines zerschlagenen Armes willen, was besagen will: den Mann, den Gott bitter geprüft, und keinen andern ehrten sie wie ihn. Denn der letzte war er und der einzige, der eigenen Auges den Leuchter Mosis, den Leuchter aus Schelomos Tempel, erschaut, die Menorah, die, verwaist ihres Lichts, nun vergraben dunkelte im Schatzhaus der Vandalen. Wenn Kaufleute nach Rom kamen aus Livorno und Genua und Salern, aus Mainz und Trier und den levantinischen Ländern, gingen sie erstlich hin zu seinem Hause, um leibhaftigen Auges den Mann zu erblicken, der die Heiligtümer Mosis und Schelomos noch mit den
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