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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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von Unchristen kein Gebet. Aber frag sie, was für eine Bewandtnis es hat mit dem Dinge und was sie vorhaben damit.«
    Der Dolmetsch blickte auf Benjamin, während er die Worte ihm übersetzte, und einen Schauer fühlte dieser und eine Kälte in den Gliedern von des Kaisers kaltem Blick. Er spürte Widerstand, und Angst überkam ihn, er könnte ihn nicht besiegen. So hob er flehend die Hände:
    »Herr, bedenke, es ist das einzige, was unserem Volke von seinen Heiligtümern verblieben. Unsere Stadt haben sie zerschlagen, unsere Mauern gefällt, unsern Tempel zerstört! Alles, was wir liebten und hatten und ehrten, ist in Vergängnis gefallen. Nur eines, dieser Leuchter, ist geblieben durch die Zeit. Tausend Jahre ist er alt, älter als alles auf Erden, und seit Hunderten Jahren wandert er heimatlos, und keine Ruhe wird unserem Volke, solange er wandert. Herr, erbarme dich unser! Dieser Leuchter ist das Letzte unserer Habe, gib uns ihn wieder! Bedenke, Gott hat dich aufgehoben aus der Tiefe in die Höhe und dich reich gemacht über alle, und wem er gab, der soll geben: so will es Gott. Herr, was ist dir das eine, was ist dir der wandernde Leuchter! Herr, laß es genug sein und gib ihm den Frieden!«
    Der Dolmetsch übertrug mit höfischer Verschönerung die Rede. Gleichmütig lauschte der Kaiser. Aber kaum, daß er die Worte Benjamins hörte, daß aus der Tiefe der Herr ihn emporgehoben, verdunkelte sich sein Antlitz. Denn ungern ward Justinian daran erinnert, daß er, der Gottgleiche, als Sohn niederer Bauersleute in einem thrakischen Dorf geboren war.
    Scharf schob sich die Braue zusammen und schon spannte sich die Lippe zu abweisendem Wort. Aber mit der Wachheit der Angst hatte Benjamin schon wahrgenommen, wie das verweigernde Wort auf der Lippe des Kaisers sich formte, und im Innern seines Herzens hörte er schon das furchtbare, das unwiderrufliche Nein. Und diese Angst riß ihn auf. Wie eine Faust von innen stieß sie ihn vor, und der Vorschrift vergessend, die verbot, die weiße Ader des Marmors zu überschreiten, trat er – alle erschraken – hart bis an den Thron heran, und ohne daß er es fühlte, fuhr die eigene Hand ihm beschwörend empor zum Kaiser:
    »Herr, es gilt dein Reich, deine Stadt! Nicht überhebe dich und versuch nicht zu halten, was keiner bisher zu halten vermocht. Auch Babylon war groß und Rom und Karthago, und doch sind die Tempel gefallen, die ihn bargen, den Leuchter, und die Mauern stürzten, die ihn verschlossen. Er, nur er blieb unberührt und die andern fielen in Trümmer. Wer ihn zu halten versucht, dem zerschlägt er den Arm, und wer ihn in Unruhe treibt, wird selber in Unrast fallen! Weh, wer behält, was nicht sein Eigen ist! Denn kein Frieden von Gott wird sein, ehe sein Heiliges nicht heimkehrt an seine heilige Stätte. Herr, ich warne dich! Gib den Leuchter zurück!«
    Alle standen betäubt. Keiner hatte die wilden Worte verstanden. Nur dies hatten mit Schrecken die Würdenträger gesehen, daß einer gewagt, was noch keiner gewagt: in seiner Hitze sich zu nahen des Kaisers nächster Nähe und dem Mächtigsten der Erde vor seiner Rede das Wort zu reißen vom Munde. Schauernd blickten sie alle auf den Uralten, der dastand, geschüttelt vom Übermaß seines Schmerzes, Tränen im Bart und blitzend die Augen im Zorn. Weit hinter ihm duckte sich, zurückgewichen, der Vorsteher, weggetreten war der Dolmetsch, und immer noch ganz allein und ganz nahe, Blick in Blick, stand Benjamin vor dem Basileus.
    Justinian war erwacht aus seiner Starre. Unsichern Blicks sah er auf den alten zorntrunkenen Mann und ungeduldig dann auf den Dolmetsch hin, daß er die Worte ihm übertrug. Der Dolmetsch tat es mit vorsichtiger Linderung. Der Kaiser möge in seiner Güte das Ungehörige dem alten Mann verzeihen, denn nur Sorge um das Wohl des Reiches habe ihn wirr gemacht. Er habe redlich den Kaiser warnen gewollt: ein furchtbarer Fluch sei von Gott gelegt auf dies Gerät. Wer es bewahre, dem bringe es Unheil, und jede Stadt, die es berge, fiele an den Feind. Als Pflicht hätte es der alte Mann darum empfunden, den Kaiser zu warnen und ihn zu mahnen, daß er den Fluch ablöse von jenem Gerät, indem er es rückgebe an den Ort seiner Herkunft, nach Jeruscholajim. Justinian lauschte mit gespannter Stirn; Ärger war in ihm über die Vermessenheit dieses maßlosen alten Juden, der in seiner Gegenwart die Stimme erhoben und die Faust. Aber gleichzeitig erwachte Unruhe in ihm. Denn ein Bauernsohn, war er

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