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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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vorbeigeflossen, als daß eine Stunde oder zwei ihnen noch etwas galten. Nur Jojakim, der Junge, der Unruhige, blickte neugierig auf jeden, der ging oder kam, und zählte in seiner Ungeduld immer wieder die Steinchen auf den Mosaiken, um die unerträglich langsame Zeit zu kürzen. Endlich, die Sonne stieg schon nieder vom Zenit, trat der Praepositus sacri cubiculi auf sie zu und unterwies sie in den Gebräuchen, die des Hofes geschriebenes Gesetz unerbittlich von jenen forderte, denen die Gnade zuteil ward, vor das Antlitz des Kaisers zu treten. Sobald die Tür sich auftue, belehrte er sie, müßten sie gesenkten Hauptes zwanzig Schritte schreiten bis an die Stelle, wo eine weiße Ader im farbigen Marmor der Fliesen eingelassen sei, aber nicht weiter sollten sie nahen, damit ihr Atem sich nicht mit jenem des Kaisers vermische. Und ehe sie wagen dürften, ihr Auge zu dem Autokratus zu erheben, hätten sie dreimal sich hinzuwerfen auf die Erde, die Arme und die Beine weit ausgestreckt. Dann erst sei es ihnen erlaubt, den Porphyrstufen des Thrones zu nahen, um die niederhängende Purpurschleppe des Basileus zu küssen.
    »Nein«, eiferte Jojakim eifrig und leise, »nur vor Gott dürfen wir uns zur Erde beugen, nicht vor einem Menschen. Ich tue es nicht.«
    »Schweig«, antwortete Benjamin streng, »warum soll ich die Erde nicht küssen? Hat sie nicht gleichfalls Gott geschaffen? Und selbst wenn es unrecht wäre, sich vor einem Menschen zu beugen, auch das Unrechte dürfen wir tun um des Heiligsten willen.«
    In diesem Augenblick öffnete sich die elfenbeinerne Tür zum Empfangssaal. Eine kaukasische Gesandtschaft trat heraus, die gekommen war, dem Kaiser ihre Huldigung darzubringen. Hinter ihnen schloß sich lautlos die Tür, doch verwirrt noch blieben in ihren pelzenen Mützen und ihrer samtenen Tracht die Fremden stehen. Auf ihrem Antlitz malte sich große Verstörtheit: offenbar hatte Justinian sie hart oder herrisch angefahren, da sie ihm bloß Bündnis boten im Namen ihres Volkes statt völliger Unterwerfung. Jojakim starrte die Fremden und ihre absonderliche Kleidung neugierig an, aber schon gebot der Präpositus ihm, die verhüllte Last auf die Schulter zu nehmen, und ermahnte die andern, ihm genauestens zu folgen. Dann schlug er leise mit seinem goldenen Stabe – es gab einen sehr dünnen, klingenden Ton – an die elfenbeinerne Tür. Lautlos ward sie nach innen aufgetan, und nun betraten die drei, denen sich auf einen Wink des Präpositus ein Dolmetsch gesellte, den weiträumigen Thronsaal der Kaiser von Byzanz, das Konsistorion.
    Von der Tür bis zur Mitte des riesigen Raumes stand rechts und links ein Spalier von Soldaten, das sie zu durchschreiten hatten, eine rotgewandete, reglose Reihe, jeder Soldat das Schwert an der Hüfte, den vergoldeten Helm mit dem riesigen roten Roßschweif auf dem Haupt, eine hohe Lanze in der Hand und über den Schultern die fürchterliche doppelgeschliffene Hacke. Wie in einer Mauer Steine an Steine gefügt sind zu glatter Linie, gleich groß, ebenmäßig und fugenlos, so starrte dies Spalier gescharter Männer in unbeweglicher Geradheit, und ebenso steinern stockten hinter ihnen die Führer der Kohorten, die unbeweglich ihre Banner hielten. Langsam schritten die drei und der Dolmetsch durch diese atemlose, unbewegliche Wand von Menschen, die ihre Augen starr wie ihre Körper machten und von denen keiner auf sie blickte; lautlos im Lautlosen schritten sie gegen die Tiefe des Raumes zu, wo offenbar – denn noch durften sie die Augen nicht erheben – der Kaiser ihrer wartete. Aber als der Präpositus, der mit dem erhobenen goldenen Stabe ihnen voranging, stehenblieb und sie nun, wie es erlaubt war, die Augen aufhoben zu des Kaisers Thron, da war kein Thron da und kein Kaiser, sondern vor ihnen sperrte ein seidener Vorhang jede Sicht, breit durch die ganze Halle gespannt. Reglos standen und staunten die drei vor dieser farbig abwehrenden Wand.
    Da erhob der Zeremonienmeister abermals den Stab. Und siehe, an unsichtbaren Schnüren rauschten knisternd die Vorhänge auseinander, und im Hintergrund erhob sich über drei Porphyrstufen der Thron mit dem juwelenübersäten Thronsessel, auf dem der Basileus saß, beschattet von einer Kuppel aus Gold. Starr saß er da, sein eigenes Bild mehr als sein Selbst, der feiste, mächtige Mann, und seine Stirn verschwand unter der strahlenden Aura der Krone, die rund wie ein Heiligenschein über und hinter seinem Haupte leuchtete. Ebenso zum Bilde

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